Innenräume nachhaltig gestalten nach DGNB Zertifizierungssystem

Gebäude haben einen erheblichen Einfluss auf unser Wohlbefinden, schließlich verbringen wir bis zu 90 Prozent unserer Zeit in ihnen. Aus diesem Grund spielt die bauliche und architektonische Qualität der Innenräume eine bedeutende Rolle, wenn es um unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit geht. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. hat eine neue Variante ihres Zertifizierungssystems für nachhaltig ausgebaute und eingerichtete Innenräume entwickelt, das genau hier ansetzt, indem es verschiedene auf den Menschen bezogene Kriterien in den Fokus setzt.

Nachhaltigkeit im Bauen hört nicht bei der  Inbetriebnahme eines Gebäudes auf. Auch beim Ausbau und der Möblierung der Innenräume lässt sich viel Positives bewirken und richtig machen. Die Frage ist nur: Welche Aspekte sollten hier beachtet werden und mit welchen Maßnahmen gelingt es, die Nachhaltigkeitsleistung zu optimieren?

Antworten gibt das neue DGNB System für nachhaltige Innenräume. Innenarchitek-ten, Mietern, Eigentümern und Investoren dient es im Planungs- und Ausführungsprozess ihres Projekts als Planungs- und Managementtool. Betrachtet werden dabei nur solche Gesichtspunkte, die für den Ausbau relevant und durch die Planung noch beeinflussbar sind. So werden allein die im Rahmen der baulichen Maßnahme neu eingebrachten Baustoffe und Baumaterialien sowie die Möblierung und Inneneinrichtung adressiert – im Gegensatz zu gebäuderelevanten Nachhaltigkeitsthemen, wie zum Beispiel der Qualität der Gebäudehülle, die vom Bauherrn üblicherweise nur über die Wahl der Mietfläche berücksichtigt werden können.

Ganzheitliche Nachhaltigkeit abgedeckt

Wie die übrigen Zertifizierungssysteme der DGNB fußt auch die neue Variante für Innenräume auf einem ganzheitlichen Nachhaltigkeitsverständnis, indem es Kriterien zusammenführt, die der ökologischen, ökonomischen, soziokulturellen Qualität zuzuordnen sind. Hinzu kommen die technische Qualität sowie die Prozessqualität. In diesem Sinne kann das System nicht nur als Wegweiser zu gesundheitsbewussteren Innenausbauten verstanden werden. Es setzt auch Impulse für umweltfreundlichere und wirtschaftlichere Innenräume, indem es zum Beispiel die über die Planungs- und Bauzeit hinaus anfallenden Kosten vorausschauend mitbetrachtet und konsequent die Wiederverwendung von Produkten belohnt. Erstmals adressiert im Rahmen einer DGNB Zertifizierung wird übrigens die gezielte Auswahl der Möbel unter Nachhaltigkeitsaspekten. So wirken sich ergonomische, nachweislich schadstoffarme Möbel mit geringen Umweltwirkungen und einer langen Nutzungsdauer positiv auf das Zertifizierungsergebnis aus.

Anwendbar zunächst für Büro- und Shoppingflächen

In seiner ersten Version ist das neue Zertifizierungssystem für Flächen in Büro- und Verwaltungsgebäuden sowie für Shopping-Center und andere Handelsflächen verfügbar. Weitere Nutzungsprofile sollen folgen. Im Vergleich zur bekannten DGNB Zertifizierung von Neubauten ist der Umfang des Systems für Innenräume deutlich geringer. Bei Büroflächen umfasst der Kriterienkatalog 16, bei Handelsflächen 13 Kriterien. Auch die Nachweisführung ist reduziert und praxisnah gehalten. So gibt es beispielsweise variable Indikatoren, die nicht in die Bewertung mit einfließen, wenn sie nachweislich für das jeweilige Projekt keine Relevanz haben.

Kriterien der ökologischen Qualität

Insgesamt vier Kriterien umfasst die ökologische Qualität im Rahmen der DGNB Zertifizierung für nachhaltige Innenräume, die zusammen rund 30 % der Gesamtbewertung aus-

machen. Das Kriterium „Umweltwirkun­gen über den Lebenszyklus“ zielt darauf ab, die Umsetzung klimaneutraler, umweltfreundlicher Innenräume zu fördern. Dabei kommt die Methode der Ökobilanzrechnungen zum Einsatz. Hintergrund ist, dass die Innenausbauten von Flächen sowie deren Möblierung in allen Phasen ihres Lebenszyklus Emissionen und Ressourcenverbräuche verursachen. Eine lebenszyklusorientierte Planung unterstützt Bauherren und Planer darin, Entscheidungen zugunsten von Lösungen zu treffen, die im Hinblick auf ihre Umweltwirkungen optimiert sind.

Im Kriterium „Energieeffizienz und Klimaschutz“ adressiert die DGNB, dass Energiebedarf in Innenräumen zum einen zwar von gebäudeseitigen Begebenheiten abhängt, zum anderen jedoch auch stark vom nutzerbedingten Energiebedarf. Hier Transparenz herzustellen ist ein erster Schritt zum Kenntlichmachen und Senken von Verbräuchen. Optimierungen der Energieeffizienz in der Planung bieten ebenfalls ein großes Potential, welches Planer nutzen sollten. Der Einsatz von Ökostrom hilft, den tatsächlichen Bedarf an elektrischer Energie so umweltfreundlich wie möglich zu generieren.

Auf die Verwendung besonders umweltverträglicher Materialien einer möglichst hohen Qualitätsstufe zielt das Kriterium „Risi-ken für die lokale Umwelt“ ab. Dabei sollen alle gefährdenden Werkstoffe, Bauprodukte sowie Zubereitungen, die Mensch, Flora und Fauna beeinträchtigen oder schädigen können, so gut es geht vermieden werden. Ein materialökologisch vollständiger Bauteilkatalog soll dem Bauherrn die relevanten Informationen liefern, an welcher Stelle des Innenausbaus welche Bauprodukte eingesetzt wurden. Dieses ist eine wichtige Grundlage zur Qualitätssicherung in der Bauausführung, zur Aufklärung von Mängeln, ihrer sachgerechten Beseitigung und zur kostenoptimierten Instandhaltung.

Über das Kriterium „Umweltverträgliche Materialgewinnung: Holz und Naturstein“ fördert die DGNB die Verwendung von Bauprodukten, deren Gewinnung und Verarbeitung anerkannten ökologischen und sozialen Standards entsprechen. Dabei geht es unter anderem um den Schutz der Wälder, den Ausschluss von Kinderarbeit sowie die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards bei der Natursteingewinnung.

Gesundheitsbewusst und komfortabel

Noch stärker als die Themen der ökologischen Qualität fließen die sechs Kriterien, die der soziokulturellen und funktionalen Qualität zugeordnet werden, in die Gesamtbewertung beim DGNB System für Innenräume mit ein. Hierzu zählt eine „Innenraumluftqualität“, die die Gesundheit der Raumnutzer nicht beeinträchtigt. Durch den Einsatz emissionsarmer Produkte und die Bereitstellung einer angemessenen Luftwechselrate lässt sich die Raumluftqualität so positiv beeinflussen, dass sie beispielsweise die Arbeitsfähigkeit bzw. Zufriedenheit der Nutzer steigert.

In allen ständig genutzten Innenräumen eine ausreichende und störungsfreie Versorgung mit Tages- und Kunstlicht sicherzustellen – das ist das übergeordnete Ziel des Kriteriums “Visueller Komfort” – gewissermaßen als Basis für allgemeines Wohlbefinden sowie ein effizientes und leistungsförderndes Arbeiten. Hintergrund ist, dass sich natürliches Licht positiv auf die psychische und physische Gesundheit des Menschen auswirkt. Darüber hinaus bildet eine gute Tageslichtnutzung ein hohes Energieeinsparpotential für künstliche Beleuchtung und Kühlung.

Das Kriterium „Akustischer Komfort“ wird nur bei Büroflächen berücksichtigt. Es zielt darauf ab, raumakustische Verhältnisse zu schaffen, die der vorgesehenen Nutzung entsprechen und einen angemessenen Nutzerkomfort gewährleisten. Schließlich sind gute akustische Bedingungen eine wichtige Voraussetzung für die Leistungsfähigkeit und die Behaglichkeit der Nutzer.

Über das Kriterium „Aufenthaltsqualitäten“ fördert das DGNB System, dass Gebäudenutzern ein Raum mit möglichst vielseitigen, kommunikationsfördernden Aufenthaltsmöglichkeiten und guter Ausstattungsqualität geboten wird. Dagegen belohnt das neu entwickelte Kriterium „Gesundheitsfördernde Angebote“ bei Bürogebäuden solche Lösun­gen, die die Nutzer dazu anregen, sich mehr zu bewegen – eine wichtige Grundlage für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Auch die Verwendung von ergonomi-schem Mobiliar wird hier positiv bewertet.
Auch bei der Zertifizierung von nachhaltigen Innenräumen hat die DGNB das Kriterium „Barrierefreiheit“ integriert. Im Gegensatz zum Neubau ist dies hier aber kein Ausschlusskriterium. Voraussetzung für eine Bewertung der Barrierefreiheit ist jedoch, dass das Gebäude, in dem sich die zu zertifizierende Fläche befindet, und die zu zertifizierenden Flächen barrierefrei zugänglich sind. Sofern das Gebäude, in dem sich die Fläche befindet, und die Nutzungseinheit selbst nicht barrierefrei zugänglich sind, kann das Kriterium nicht bewertet werden.

Wirtschaftlich sinnvoll und vorausschauend

Die ökonomische Qualität spielt im Rahmen der Innenraumzertifizierung eine etwas geringere Rolle als bei Neubauten. Damit trägt die DGNB den üblicherweise kürzeren Projektlaufzeiten Rechnung. Dennoch ist eine vorausschauende, kostenoptimierte Planung im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung der Nachhaltigkeit auch hier wichtig.

Über das Kriterium „Kosten über den Lebenszyklus“ wird berücksichtigt, dass die Wirtschaftlichkeit von Innenausbauten nicht nur von den Erträgen sowie von den Herstellungs- und Verwertungskosten abhängt, sondern auch von deren kosteneffizientem Betrieb. Die Lebenszykluskostenberechnung ermöglicht hierzu eine mittel- bis langfristige Kostenbetrachtung eines Ausbaus. Auf dieser Basis kann eine transparente Vergleichskostenrechnung von Ausbauten ähnlicher Nutzung und Funktionalität für weiterführende Analysen und Optimierungen angestellt werden. Anhand einer prozessbegleitenden Lebenszykluskostenplanung können zudem Kosten­treiber genauso wie Win-win-Lösungen identifiziert werden, also Maßnahmen, die zum einen in umwelttechnischer und zugleich in wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoll sind.

Die Systemvariante für Büroflächen beinhaltet zudem innerhalb der ökonomischen Qualität das Kriterium „Flexibilität und Umnutzungsfähigkeit“.  Ziel hierbei ist es, die Ausbaufläche so flexibel wie möglich zu konzipieren und eine möglichst große Nutzbarkeit einzuplanen. Indikatoren, die hier berücksichtigt werden, sind Änderungen der Raum-

typologie, Flexibilität durch Multifunktionsbereiche, die Effizienz der Fläche sowie der Einsatz modularer Möbel.

Lösungen im Sinne der Circular Economy

Die Kreislaufführung der im Innenausbau eingesetzten Stoffe und Materialien zu fördern, um natürliche Ressourcen zu schonen – damit beschäftigt sich das Kriterium „Rückbau- und Recyclingfreundlichkeit“, das der technischen Qualität zugeordnet ist. Für den Bauherrn und die Nutzer können sich hier gleich mehrfach positive Effekte ergeben. So ist in der Betriebsphase mit geringeren Kosten für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu rechnen. Langfristig hilft es den Ausbau mit den eingesetzten Materialien und Möbeln als späteres Rohstofflager zu verstehen und damit als Wertanlage zu planen.

Eine gute Planung als A und O

Wie bei der Gebäudezertifizierung wird auch die Zertifizierung von nachhaltigen Innenräumen bei der DGNB komplettiert durch eine Reihe von Kriterien, die der Prozessqualität zuzuordnen sind. Dazu zählt das Kriterium „Projektvorbereitung und Planung“, über das ein optimierter und transparenter Planungsprozess gefördert wird, der zu einer bestmöglichen Qualität der Mietfläche beiträgt. Dabei geht es zum einen um die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten bei der Wahl der Immobilie. Aber auch die Verwendung eines Pflichtenhefts, in dem Planungsziele definiert und ausformuliert werden, sowie eine Nutzerbeteiligung während der Planung zählen dazu.

Die weiteren Kriterien der Prozessqualität sind das „Verfahren zur gestalterischen Konzeption“, über das die architektonische Qualität des Ausbaus bestmöglich gewährleistet werden soll, sowie das Kriterium „Konzeptionierung und Voraussetzungen für eine optimale Nutzung“. Hierbei soll die Ausbauqualität insofern optimiert werden, als dass unterschiedliche Konzepte (zum Beispiel Abfallkonzept, Mess- und Monitoringkonzept) unter Berücksichtigung von projektspezifischen Faktoren erarbeitet werden. Zudem dient das Kriterium dazu, dass bereits während der Planungs- und Bauphase die Voraussetzungen für eine optimale Nutzung und Bewirtschaftung im späteren Betrieb der Fläche geschaffen werden.

Begrenzte Gültigkeit des Zertifikats

Um das DGNB Zertifikat für Innenräume zu erhalten, muss der Innenausbau der zu zertifizierenden Fläche inklusive der Möblierung fertiggestellt und in Betrieb genommen worden sein. Das Zertifikat im Bereich Shopping verliert seine Gültigkeit nach fünf, im Bereich Büro und Verwaltung nach zehn Jahren. Wenn die zertifizierten Flächen einem maßgeblichen Umbau unterzogen werden, verfällt die Gültigkeit des Zertifikats ungeachtet der Lebensdauer. Es gibt aber auch die Möglichkeit, die Gültigkeit des Zertifikats um weitere fünf Jahre zu verlängern. Für eine solche Rezertifizierung müssen vor Ablauf der Gültigkeit die entsprechenden Nachweise für die vorgenommenen Veränderungen bei der DGNB eingereicht werden.

Interessant ist das Zertifikat gerade auch für Unternehmen, die an verschiedenen Standorten nahezu baugleiche Ausbauten nach einem einheitlichen Corporate-Identity-Konzept realisieren. Für sie gibt es die Möglichkeit einer Mehrfachzertifizierung auf Grundlage eines Basiszertifikats, dessen Grundlage eine Bau- und Ausbaubeschreibung nebst Möblierungskonzept ist.

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