Ingenieurholzbau in Großbritannien
Eine interdisziplinäre Aufgabe

Die erste Kontaktaufnahme zum Projekt Aylesbury Theatre & Entertainment Centre fand im Sommer 2008 statt. Nach den guten Erfahrungen aus der Zusammenarbeit ver-
gangener Jahre bei Holzbauprojekten in England kooperierten Finnforrest Merk (FFM) GmbH, Aichach, und pbb Planung und Pro­-jektsteuerung, Ingolstadt, auch beim Bau des von dem Londoner Architekturbüro Arts Team entworfenen Theaterbaus mit seiner anspruchsvollen geometrischen Struktur. Es sollte das bisher größte gemeinsam abge-
wickelte Projekt werden.

Die Bauaufgabe

Der Entwurf sah einen Betonkubus vor, der Theaterbühne und –saal sowie die Bereiche für Gastronomie und Sanitäreinrichtungen
be­herbergt. Alle Außenstützen und Fassad-en­riegel, hinter denen sich die öffentlich zugänglichen Gebäudeteile verbergen, fast das gesamte Gebäudedach sowie die aus vier überlagerten Deckenrosten besteh­ende Deckenkonstruktion im Foyerbereich sollten
als Holztragwerke ausgeführt werden. Die Hauptaufgabe bestand darin, die relativ restriktiven Vorgaben der Architektur für einen Holzbaubetrieb wirtschaftlich umzusetzen und ohne Einbußen für die Gestaltung ein wirtschaftliches Konzept für die Holzbaukonstruktion zu finden. Die Fragestellungen der Ingenieure lauteten deshalb nicht: Welche Form beschreibt am besten die vorgegebene Funktion? - sondern: Wie lässt sich die vorgegebene Form ökonomisch umsetzen?
Von Beginn an flossen Fertigungsprozesse, Anschlussgeometrien und logistische Prozesse der Produktion, des Transportes und natürlich der Montage in die ingenieurtechnische Betrachtung der Holzkonstruktion mit ein. Neben der rein technischen und gestalterischen Herausforderung musste zudem auf die Besonderheiten der Abwicklung im englischsprachigen Raum mit im Vergleich zu Deutschland abweichenden technischen und juristischen Regelungen Rücksicht genommen werden.


Der Entwurf

Der Entwurf sah eine gebogene Dachkon-
struktion in Form einer U-Schale vor, die gegenüber der Horizontalebene verkippt angeordnet ist. Die Fassade folgt dem erdnuss-
förmigen Grundriss und ist um die quader-
förmigen Massivbaueinheiten herum ange-
ordnet. Der massive Betonkern beinhaltet die eigentlichen Veranstaltungseinheiten einschließlich Festsaal und Technikbereichen. In der umschließenden Hülle befindet sich die Erschließung mit Foyer und Treppenanlagen.

Die größtenteils verglaste Fassade wird durch Holzstützen, die sogenannten fins, in vertikale Einheiten unterteilt. Die Unterkanten der außen liegenden Fassadenstützen beschreiben eine geschwungene Form entlang eines in Spritzbeton ausgeführten Sockelelementes. Der umhüllende Baukörper besteht aus frei definierten gebogenen Schalenelementen in Grund- und Aufriss.


Die geometrische Herausforderung

Die komplexe Geometrie verursachte gleich zu Beginn erste Probleme: – Wie ist die Geometrie erzeugt? – Welche Kippachsen sind definiert? – Wo sind unterschiedliche Radien und Krümmungen? Solche und andere grundlegenden Fragen beschäftigten das Planungsteam während der gesamten Projektlaufzeit.

Geometrisch sehr aufwändig gestalteten sich dabei die Detaillösungen für die gewölb-te Dachschalenkonstruktion. Für die in mehreren Ebenen abzubildende Schale wurde eine Vielzahl von Detaillösungen für die Trägeranschlüsse der unterschiedlichen Layer der Schalenroste benötigt. Vorgabe war, die Anschlüsse für alle auftretenden Verschneidungswinkel in Grund- und Aufriss flexibel und ausreichend tragfähig zu gestalten. Welche Ebene gebogen, geleimt bzw. geschnitten oder in welcher Ebene welche Tragrichtung favorisiert werden sollte, war Thema unzähliger Projektsitzungen, wobei speziell der Vorfertigungs- und Montagegedanke in den Vordergrund rückte, um zu umfangreiche bauseitige Einzelteilmontagen zu vermeiden. Selbstverständlich mussten die geforderten bauphysikalischen Eigenschaften, vor allem bezüglich des Schallschutzes, über alle Anschlüsse hinweg miteinbezogen werden.


Die Datenkommunikation

Man könnte glauben, einmal definiert und verabschiedet, müssten die geometrischen Randbedingungen für alle Beteiligten klar geregelt sein. Es stellte sich aber heraus, dass sich durch die Vielzahl der Planungsbeteiligten, die unterschiedlichen Planungsstände und verschiedene CAD Systeme auf allen Ebenen Toleranzen einschleichen konnten. Daher mussten flexible, systemübergreifende Werkzeuge für den schnellen und anschaulichen Datenaustausch in 3D-Ausprägung installiert werden. Hilfreich erwies sich dabei der Austausch via Webviewer. Detailausbildungen konnten so visuell für alle Beteiligten aufbereitet werden, was die Planaustauschzeiten wesentlich verkürzte. Zusätzlich wurden screenshots zur Dokumentation von Ergebnissen aus Jour Fix und Telefonkonferenzen eingesetzt. Darüber hinaus wurden bei pbb hausintern verschiedene Softwaresysteme für Bauteile mit unterschiedlichen Anforderungen an z.B. Krümmungsgenauigkeiten eingesetzt, um die Datenmenge und den Eingabeaufwand zu optimieren.


Die Tragwerksplanung

Der geschwungene Gebäudegrundriss wurde aus sechs miteinander verbundenen Radien konstruiert. Das Tragwerk umfasst drei Seiten des Gebäudes, zwischen Innen- und Außen­stützen verläuft eine Glasfassade. Fassadenstützen aus lasiertem Brettschichtholz tragen das Dach, Innenstützen nehmen die Vertikallasten der Deckenkonstruktion auf.

Die Hauptaufgabe bestand in der Umsetzung einer großen Zahl verschiedener Einzelbauteile sowohl in den Holz- als auch den Stahltragelementen. Besonders anspruchsvoll war die Gestaltung der Außenstützen: Auf Grund der unterschiedlichen Fußpunktniveaus verfügte jede Stütze über eine andere elliptische Außenkontur. Eine wichtige Vorgabe der Architekten war, dass die Verbindungs­elemente im Holztragwerk weitestgehend verdeckt sein sollten. Das Büro pbb entwickelte daher spezielle Verbindungsmakros für die Konstruktion der Anschlüsse. Dies erfolgte mit Tekla Structures Editors, das dem Anwender erlaubt, ohne Programmierkenntnisse eigene, intelligente Komponenten, wie die Verbindungsmakros, zu erstellen. Die Gestaltung der Spezialkomponenten ließ sich über eine einfache Eingabemaske realisieren.

Neben der geometrischen und bauphysikalischen Betrachtung und den komplexen Abmessungen der Bauteile erforderte es viel ­Ingenieurverstand, die bauaufsichtlichen Behörden und die Tragwerksplaner des Massivbaus von einer in sich ausgesteiften Tragschale für das Dach zu überzeugen, bei der deren auftretende Horizontallasten auf direktem Wege über die einzelnen Layer in den Massivbau geführt werden. Auf diese Weise nämlich konnte man sich die Berechnung einer Gesamtscheibe mit den entsprechenden Umlenkkräften aus der Krümmung und die umständliche Betrachtung vieler einzelner Lastkombinationen mit unterschiedlich steifen Auflagerpunkten ersparen.

Die Freiformstruktur mit außen liegenden Rippen verursachte relativ aufwändige Last­ansätze bezüglich der Windlastansätze. Wer sich mit der internationalen Normung auseinandersetzt, findet global betrachtet erhebliche Unterschiede betreffend Windlasten und Auswertung vor. Hier mussten die differieren­den Regelungen in Einklang gebracht werden. Wichtig war dabei der bildhafte Vergleich von Windrichtungen und Ordinaten, um etwaige (fach-)sprachlich begründete Missverständnisse auszuschließen.

Die Detailausbildung

Immer wenn viele Anforderungen gleichzeitig zu berücksichtigen sind, besteht die Gefahr, sich im Detail zu verlieren. Was erfordert die Gestaltung, die Tragwerksplanung, die Bauphysik und nicht zuletzt die Arbeitsvorbereitung und Teilelogistik, die Fertigung im Werk, der Transport und die Montage auf der Baustelle? Pragmatische Lösungen finden, evtl. die Lösung im Einfachen suchen und erst einmal eine oder auch zwei Nächte - oder eben auch nicht - darüber schlafen: Der erfahrene Planer weiß, wie wichtig produktive Auszeiten im richtigen Moment sind.

Beim Projekt Aylesbury Theatre war es besonders wichtig, den Blick fürs Wesentliche nicht zu verlieren. Einmal festgelegt und bei tausenden Teilen den Holzweg eingeschlagen zu haben (diese Bezeichnung stammt übrigens vom Holzweg als Weg des Abtransports eines Baumstammes, was ja nicht immer ohne Umweg möglich ist), führt sehr schnell zu Schwierigkeiten beim Erreichen des Pla-nungs­solls. Deshalb ist es besonders wichtig, immer wieder die Kommunikation zu suchen, alleine nicht zu weit vorauszueilen, um dann zum richtigen Zeitpunkt die anderen mit der Lösung abzuholen.

Den größten Planungsaufwand erforderten neben der Realisation der diversen Layerebenen der Decken- und Dachelemente die Ausbildungsvarianten der Ortganglösungen und Anschlüsse der Decken, die Integration der Treppenanlage als tragendes Element in die Deckenstruktur, die Vorfertigung der Dach­schale in transportablen Einzelelementen sowie die Konstruktion und der Anschluss des Glasgeländers mit immerhin 3 kN/m Holmlast. Durch die aufeinanderliegenden, versetzten Trägerroste der Layer konnten einerseits relativ steife Roste konstruiert werden, andererseits mussten aber auch stets die Exzentrizitäten der einzelnen Ebenen bzgl. der Anschlusspunkte am Massivbau berücksichtigt werden.


Die Baustelle

Wie bei mit den bisherigen Bauvorhaben im angelsächsischen Gebiet wurde dem Thema Sicherheit und Baustellenordnung große Bedeutung beigemessen. ­Zugang, Logistik und Baustellensicherheit wurden auf der Baustelle durchgehend großgeschrieben.

Alle Ausgangspunkte und Achsen wurden grundlegend für alle Gewerke als Ausgangsbasis dauerhaft definiert und eingemessen. Die Bautoleranzen der Gewerke waren unbedingt zu beachten. Gerade bei Freiformstrukturen gestaltet es sich oft schwierig, die Abmessungen bei jedem Gewerk mit gleicher Genauigkeit einzuhalten. Der Holzbau arbeitet im Vergleich zum Stahlbetonbau mit wesentlich kleineren Toleranzen. Dies ist eine zwingende Planungsprämisse in der Detailplanung der Schnittstellen.

Unbedingte Ordnung auf der Baustelle war erforderlich wegen der großen Zahl von Einzelteilen. Allein für das Gewerk Holzbau wurden ohne Verbindungsmittel fast 14 000 Einzelteile konstruiert und gefertigt. Insgesamt wurden allein für die Ausführung über 3 500 Einzelteilzeichnungen, Montagepläne und Übersichten erstellt. Bewerkstelligt wurde dies u.a. mit dem Programmsystem ­
x-Steel von Tekla, das von pbb auch für den Holzbau eingesetzt wird. pbb richtete eine Schnittstelle zu den Produktionsanlagen von FFM ein, über die die erzeugten Datensätze sofort für die vollautomatische Produktion der Bauteile genutzt werden konnten. Die grosse Anzahl der unterschiedlichen, sich
dabei jedoch stark ähnelnden Bauteile erforderte unbedingt die genaue Kennzeichnung aller Einzelteile. Dies konnte wirtschaftlich nur über eine maschinengesteuerte Einzelteilfertigung realisiert werden.

Sicher auch aufgrund des innovativen Einsatzes der CAD-Programmsysteme erzielte das Projekt Aylesbury Theatre & Entertainment Center einen ersten Platz beim Tekla Modellwettbewerb im Jahr 2010. Die Eröffnung des Theaters fand im Oktober 2010 statt.

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