In die Kirche gehen und niederknien
Zwei Architektur-Schauen in Berlin mit aufklärerischer Haltung

Berlin ist Architekturhauptstadt. Jedenfalls muss sich dieser Eindruck demjenigen vermitteln, der den Blick in die Veranstaltungskalender der Bundesmetropole wirft. Insbesondere im Martin-Gropius-Bau machen zurzeit zwei Ausstellungen von sich reden, die eine, „Le Corbusier – Kunst und Architektur“ (noch bis 5. Oktober 2009) ist schon ein wenig in der Welt gereist, die andere ist eine für den Ort originär erstellte, wandert in Teilen nach Torschluss ins MoMA und widmet sich dem Bauhaus, oder was wir dafür halten.

„Anders zur Welt kommen“

Eine dritte Ausstellung möchte uns unter dem schön sprechenden Titel „Anders zur Welt kommen: Das Humboldt-Forum im Schloss“ erklären, wie sich der aufklärerische Anspruch der Humboldts in einem Schlossfake wohlfühlen könnte. „Appetit und Lust“ auf das immer noch nebulöse Unternehmen Humboldt-Forum solle die Schau machen, so HU-Präsident Christoph Markschies, der Appetit allerdings vergeht einem, schaut man auf die Archivalien, deren teils absonderlicher Charakter typisch ist für Sammlungsgegenstände früherer Kuriositätenkabinette.

Lediglich im dritten Ausstellungsabschnitt, dem hier großräumig präsentierten „Labor“, wird der Gedanke der Aufklärung, wird das Getriebe des Denkens anschaulich: praktische Forschung, deren Erkenntnissen man sich im Nachvollzug in einer Bibliothek bedienen kann, handgreiflich oder intellektuell, das
erscheint dem Forumsgedanken noch am nächsten zu kommen; das Ausstellungsdesign der Laborlandschaft überzeugt, es ignoriert den Schinkel ebenso wie es das spätere Pseudobarock ignorieren wird.

So weit Humboldt entfernt zu sein scheint und seine Idealisierung direkt konträr zum allgemeinen Bildungsabbau an Schulen und Universitäten liegt (Stichwort: Bildungseffizienz), so nahe möchte das Bauhaus uns sein. Und ist es auch wohl, denn im Gegensatz zur humboldtianischen Welterklärungshaltung mit äußerst schmalen Zugangskanälen ins allgemeine Bewusstsein, übermittelt das Bauhaus heute in mehrfacher Breite aus den Ergebnislisten internationaler Versteigerungshäuser in perfider Weise auch die Grüße einer Heimwerkermarktkette. Deren populistischer Anspruch war Bauhausmeistern damals heftiges Anliegen: alles für alle!

„Modell Bauhaus“

Das im Ausstellungstitel angesprochene „Modell“ des Bauhauses, welches letzterer ein Mythos ohne festen Heimatplatz ist (oder derer gleich drei: Weimar, Dessau, Berlin), wirkt bis heute fort. Die aus der Aufklärung (Humboldt) herrührende Idee der Serienfertigung – Verschmelzung von Kunst und Volk = Volksbedarf statt Luxusbedarf – ist heute pervertiert in eine die Instinkte ansprechende Überflussproduktion von Massenwaren für eine Wegwerfgesellschaft. Die Ausstellung in Berlin, die ausdrücklich gegen die Klischees ankämpfen will, denen die Baukunstschulen (Plural) der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts immer rücksichtsloser weil vereinnahmender unterworfen waren, versucht es mit Reinheit. Und die ist den drei, hier erstmal so öffentlich wirksam kooperierenden Institutionen „Stiftung Bauhaus Dessau“, „Bauhaus-Archiv Berlin“ und „Klassik-Stiftung Weimar“ das unverfälschte weil unkommentierte Aufstellen von Objekten. Jedes einzelne ist wunderschön, erst recht, weil wir sie schon viel zu oft auf Kaffeetassen oder T-Shirts überaus unbeholfen nachempfunden gesehen haben.

Achtzehn Räume vollgepackt mit Originalen der damaligen Architektur- und Designkunst, allesamt Klassiker, manche schon Streitobjekte der um ihre Vermarktung klagenden Vermarkter; bei MVDR und seinem Kult-Pavillon roch es nach Bohnerwachs und in die Jahre gekommenen Textilien. Müssen wir das sehen? Sollen wir wieder einmal in die Kirche gehen und niederknien müssen?

Im Zentrum des als Ausstellungsort so schwierigen und nicht selten jedes Ausstellungsdesign zerstörenden Gropius-Baus steht eine Installation der Künstlerin Christine Hill und dem Team ihrer Volksboutique: „Do it yourself Bauhaus“ ist die Leichtbauraumlandschaft übertitelt und hier ahnt man, was das Bauhaus heute noch ist – und vielleicht gar, was es einmal war. Hier mit dem Rundgang beginnen, man würde die Schritte in den Räumen drumherum beschleunigen, dass das Einknicken vor den Ikonen schier unmöglich wäre, es sei denn, man wolle sich ihnen ganz und gar und besinnungslos überantworten. Ich will das nicht, lese lieber in dem guten Publikationsmaterial. Be. K.

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