Im Fokus: Das Passivhaus
Interview mit Prof. Dr.
Wolfgang Feist, Passivhaus Institut Darmstadt

Herr Prof. Dr. Feist, bitte beschreiben Sie das grundsätzliche Konzept, das hinter Passivhäusern steht.

Um es in einem Haus warm zu halten, muss Heizenergie zugeführt werden, die dann über die Gebäudehülle und durch das Lüften nach außen abfließt. Bei Passivhäusern werden die Lüftungswärmeverluste stark verringert und die Gebäudehülle so weit verbessert, dass nur etwa ein Zehntel der Heizenergie, die ein durchschnittliches Bestandsgebäude braucht, benötigt wird. Das erreichen wir durch eine sehr gute Wärmedämmung ohne Wärmebrücken, eine hohe Luftdichtheit, eine Lüftungsan­lage mit hocheffizienter Wärmerückgewinnung und durch Fenster mit Dreifach-Verglasung und wärmegedämmten Fensterrahmen.

Stichwort thermische Behaglichkeit – was kann ich mir darunter vorstellen?

Die Temperatur, die wir in einem Raum fühlen, setzt sich aus der Lufttemperatur und der Tem­peratur der Umfassungsflächen des Raumes zusammen. Unterscheiden sich diese Temperaturen um nur wenige Grad, empfinden wir das schon als unbehaglich. Durch die hervorragenden thermischen Eigenschaften von Passivhausbauteilen sind die Temperaturen der Raumluft und der Raumumfassungsflächen, selbst wenn es sich dabei um Glasflächen handelt, fast gleich. Der Raum wird dann als thermisch behaglich empfunden. Die thermische Qualität der Bauteile ist ebenfalls auf eine geringe Temperaturdifferenz zwischen Kopfpunkt und Fußpunkt zurückzuführen. Durch die Lüftungsanlage wird zudem sichergestellt, dass es nicht zu störenden Zugluft-

erscheinungen kommt.

Manche sehen den reduzierten Frischluftstrom kritisch, meinen im Passivhaus sei es muffig. Was sind Ihre Erfahrungen?

Hier liegt wohl ein Missverständnis vor. Durch den Einsatz der Lüftungsanlage wird der Frisch­luftvolumenstrom gegenüber üblichen Neubauten erhöht. Um den eigentlich hygienisch notwendigen Luftwechsel per Fensterlüftung zu realisieren, müsste mehrmals am Tag stoß­gelüftet werden. Das wird aber in der Praxis kaum durchgeführt! Die Lüftungsanlage liefert zuverlässig ausreichende Frischluftmengen – und das ohne Zugluft, aber mit beträchtlicher Energieeinsparung. Dass die Luftqualität in Passivhäusern tatsächlich besser ist als in Gebäuden mit Fensterlüftung, haben zahlreiche wissenschaftliche Messungen belegt.

Warum ist die Errichtung von Passivhäusern hinsichtlich Klimaschutz erstrebenswert?

Weil durch den erheblich reduzierten Heizenergieverbrauch weniger CO2 produziert und das Klima so entlastet wird. Die Einsparung an Primärenergie beträgt gegenüber durchschnittlichen Neubauten immer noch 75 % und mehr. Dadurch ist der restliche Bedarf so gering, dass er aus regional verfügbaren Energiequellen klimaverträglich gedeckt werden kann. Das Passivhaus ist ein insgesamt nachhaltiges Gebäudekonzept.

Wie profitieren Bauherren und Architekten beim Einsatz von Systemen, die das Passivhaus-Institut zertifiziert hat?

Bei zertifizierten Komponenten können Bauherren sicher sein, das auch Passivhaus geeignet drin steckt, wenn es durch das „PHI“-Zeichen ausgewiesen wird. Den Architekten und Planern liefert das Zertifikat in Verbindung mit dem zugehörigen Datenblatt genau die Werte, die für die korrekte Berücksichtigung des betreffenden Bauteils in der Gebäudeenergiebilanzierung benötigt werden.

Das Passivhaus-Institut ist bekannt für die strengen Kriterien hinsichtlich der technischen Realisierung von Wärmedämmzone bzw. Isothermenverlauf des Fassadenbauteils. Warum legen Sie gerade auf diesen Bereich großen Wert?

Weil diese Details entscheidend für die thermische Qualität der Gesamtkonstruktion sind. Die Ausbildung des Glasrandes, die Dämmung im Falzbereich, der Scheibeneinstand, Art, Geometrie, Material und Befestigung von Schrauben, Glasträgern und Anpressleiste haben einen wesentlichen Einfluss auf den Fassaden-U-Wert und auch auf die minimalen Oberflächentemperaturen. Der Fortschritt im Ganzen ist immer durch Sorgfalt in den Details erreicht worden – und genau so ist das auch hier.

Gibt es erkennbare Einflüsse auf Baurecht, Verordnungen, Richtlinien, die sich aus der Passivhaus-Bauweise ableiten lassen?

Der vermehrte Einsatz von Dreischeiben-Verglasungen, gedämmten Fensterrahmen oder bessere Dämmung auch bei Nicht-Passivhäusern sind auch auf den Einfluss der Passivhaus-Bauweise zurückzuführen. Ohne die zehn­tausendfach erwiesene Funktionstüchtigkeit des Passivhauses im Hinterkopf wären möglicherweise die verschiedenen nationalen Vorschriften nicht so weit, wie sie jetzt sind.

Die Stadt Frankfurt lässt – falls technisch

realisierbar – ausschließlich die Passiv-

bauweise für öffentliche Objekte zu.

Welchen Einfluss hat das Institut hier

gehabt?

Wir haben die ersten Passivhaus Projekte

der Stadt Frankfurt in der Bau- und Planungsphase wissenschaftlich beraten und begleitet und im Gebäudebetrieb Messungen durch-

geführt. Das Konzept hat die Stadt Frankfurt vor allem deshalb überzeugt, weil Passiv-

häuser wirtschaftlich sind, die Mehrinvesti-

tionskosten bei der Erstellung des Gebäudes im Betrieb mehr als wieder hereingespielt werden. Mehrere andere Städte und Kreise haben Frankfurts Beschlüsse übrigens mittlerweile übernommen.

In welche Richtung werden sich die Vorgaben für die Passivhaus-Bauweise Ihrer Meinung nach künftig entwickeln?

Die Definition des Passivhauses basiert auf physikalischen Grundlagen. Die ändern sich nicht. Folglich werden sich die Passivhaus-Kriterien allenfalls im Detail oder in der

konkreten Ausformulierung ändern. Wenn ihre Frage auf die künftige Anwendung und Verbreitung des Standards zielt, gehe ich von einer weiter steigenden Relevanz des Passivhauses aus.

Wie gut eignet sich die Passivhaus-Bauweise im Objektbereich, etwa für Verwaltungsbauten?

Mit steigender Objektgröße sinken bei gegebenem Heizenergiebedarf die Anforderungen an den Wärmeschutz der Gebäudehülle, da dem Innenvolumen eine relativ geringere wärmetauschende Hüllfläche gegenübersteht als bei kleineren Gebäuden. Wir sprechen von einer höheren Kompaktheit größerer Gebäude. Mit den Anforderungen an die Gebäudehülle können auch die Mehrinvestitionskosten für größere Passivhäuser sinken. Zusätzlich sind die internen Wärmequellen in Verwaltungsgebäuden durch hohe Belegungsdichten und durch die Ausstattung mit Bürogeräten höher als im Wohnungsbau. Verwaltungsbauten eignen sich daher hervorragend für eine Realisierung in Passivhaus-Bauweise.

Welche Anforderungen müssen Fassaden dazu erfüllen?

In Passivhäusern sind Verglasungen und ihre Rahmen die thermische Schwachstelle, d.h., diese Flächen sind im Winter kühler als die Wandoberflächen und die Raumluft. Dadurch kann es im Bereich der Fassaden zu einem störenden, unbehaglichen Kaltluftabfall kommen, wenn Komponenten eingesetzt werden, die nicht die erforderliche Qualität aufweisen. In konventionellen Gebäuden wird dieses Problem durch Heizungen vor den Fenstern umgangen, die den Kaltluftabfall stoppen. Da in Passivhäusern keine Heizkörper unter den Fenstern angeordnet sind, muss die Qualität der Verglasung entsprechend höher sein. Für das kühl-gemäßigte Klima Mitteleuropas schreiben wir einen Glas-U-Wert von ≤ 0,70 W/(m²k) vor, für das komplette Fenster einen UW bzw. UCW-Wert von 0,80 W/(m²K). Bei Fassaden muss dieser Wert durch ein Modul von 1,20 x 2,50 m erfüllt werden. Der Wert versteht sich inklusive der Einflüsse von Schrauben und Glasträgern.

Welche Fassadenbauweisen und Werkstoffe sind bereits für die Passivhaus-Bauweise zertifiziert?

Bisher wurden mehrere Holzkonstruktionen, sowie je eine Stahl- und eine Aluminiumkonstruktion zertifiziert.

Das Gespräch führte Frank Zimmermann

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