Ich bin so viel, was das Klischee nicht erwarten lässt

Im Gespräch mit Peter Zumthor, Atelier Zumthor, Haldenstein/CH

Bereits im letzten Jahr trafen wir uns mit Peter Zumthor. In Münster hatte der Pritzker-Preisträger den großen BDA-Preis entgegennehmen können. Wir sprachen am Morgen nach der Verleihung länger mit ihm im Hotel, dann ging es mit dem Fahrrad (mit Elke Reichel, BDA-Vorstand) über die SkulpturenProjekte 2017. Zu einem zweiten Gespräch lud er nach Haldenstein in die Schweiz ein, einem kleinen Ort westlich von Chur. Dort wohnt und lebt Peter Zumthor, dort ist auch sein Atelier, das er vor kurzem schräg hinüber über die Dorfstraße um einen Neubau erweiterte. Es gibt viel zu tun für ihn und sein eher junges Team, auch, wenn sich der Architekt die Aufträge in der Regel aussuchen kann. Vor dem Besuch noch kurze Einkehr in der Peter Zumthor-Ausstellung „Dear to Me“ im Kunsthaus Bregenz.

„Dear to Me“, oder wie es der junge Rainer Maria Rilke über seinen ersten Gedichtband setzte „Mir zur Feier“? Was bedeutet der Ausstellungstitel, den Sie Ihrer Ausstellung im Kunsthaus Bregenz gegeben haben?

Peter Zumthor: Ich wollte Dinge versammeln, die mir lieb sind und das auch anderen zeigen. Literatur ist das, Gärten, die Kunst. Ich liebe es, mit gescheiten Menschen zu sprechen. Die Ausstellung zeigt aber nicht, wer ich bin, sondern das, was ich schätze, gern habe. Und das teile ich mit denen, die es sich anschauen.

Was war der Anlass? Eine Retrospektive konnte es nicht sein ohne die Arbeiten. Eine schlicht schöne Feier, weil es Zeit war, ein paar Wochen vor dem 75sten Geburtstag zu feiern?

Der Anlass war das Jubiläum, 20 Jahre Kunsthaus Bregenz. Da hat man mich gefragt, ob ich dazu nicht etwas machen wollte. Und alle waren wohl überrascht, dass ich nicht mich selbst in den Mittelpunkt gestellt habe, sondern Freunde von mir. Und dann haben die Besucher gesagt: Was Sie lieben, lieben wir auch!

Das tut gut?

Ja, das ist das Beste. Aber es ist auch gar nicht so schwer, eigentlich ist es das Leichteste. Es gibt wohl eine Übereinstimmung darin, wie gleichgestimmte Menschen auf die Literatur, die Musik, die Kunst schauen, da musste ich eigentlich gar nichts machen. Wie auch bei den Gesprächen, die ich im Rahmen der Ausstellung gemacht habe. Hier habe ich versucht, über kurze, offene Fragen den Blick auf das Bauen, auf ein Haus, auf die Sicht der Dinge ganz allgemein zu lenken. Ganz behutsam, langsam, ohne Druck, mit völlig offenem und nicht bloß für mich teils überraschendem Ausgang.

Dass in der Gesprächsreihe im Kunsthaus Ihre Gegenüber Komponistinnen, Musiker, Schriftstellerinnen, Philosophen, Naturwissenschaftler, Kunsthandwerkerinnen und Handwerker waren: Deutet das auf eine Sehnsucht mancher Architekten nach der Freiheit in der Kunst?

Wenn Sie hier mit „mancher“ mich meinen: Nein. Ich bin sehr glücklich mit dem, was ich als Architekt mache. Ich habe zu allen Künsten eine gute Beziehung … Tanz, Oper … Das mache ich alles in meinem nächsten Leben.

Bücher stehen auch in der Ausstellung – im Kunsthaus in Form einer von Ihnen präzise gestalteten, großen, allerdings unsortierten Bibliothek, die ein ganzes Geschoss einnimmt. Was sind Bücher für Sie?

Mein Leben ist voller Bücher. Und immer wieder beeindruckt mich, dass alles schon gedacht wurde. Die Bücher besänftigen mich, weil sie so voller Wissen stecken … Was mich wiederum unruhig macht, weil ich das Gefühl habe, das alles noch lesen zu müssen. Die Bibliothek in meiner Ausstellung sehe ich auch als ein Statement für das Analoge, als etwas, das sich gegen das Verschwinden richtet. Ich habe diese Masse an Objekten einfach gern, die in Bregenz stehen für den Übergang von analogen zu digitalen Welten.

Sie selbst haben zuletzt mit Ihrer Monografie einen kleinen Bücherberg vorgelegt. Darin spricht Peter Zumthor über Peter Zumthor. Warum niemand anderes?

Vielleicht müssen Sie diese Bucharbeit mehr als ein Künstlerbuch anschauen. Und im Künstlerbuch ist der Künstler drin. Ob Sie das jetzt gut oder schlecht rezensiert haben: Das ist meine Stimme. Man kann auch ein Essaybuch über Peter Zumthor machen mit den unterschiedlichsten Stimmen. Aber würde ich jemanden einladen, in meinem Buch über meine Arbeiten zu schreiben, dann kommt das nicht gut. Das ist dann schnell ein Laudatio-Format.

Kritische Reflektion auf Peter Zumthors Arbeiten?

Ja, sehr gerne, aber nicht in meinem Buch! Das ist meine Arbeit und Schluss.

Welche Rolle spielt das Digitale in der scheinbar sehr analogen Arbeit von Peter Zumthor?

Ach, ich bin – hässliches Wort! – ergebnisorientiert. Mir ist es eigentlich egal, mit welchem Bleistift, mit welcher Maschine die Ergebnisse produziert wurden. Wenn das Ergebnis in seiner körperhaften Präsenz überzeugt, ist mir alles recht auf dem Weg dahin. Also, gewisse Dinge machen wir mit dem Computer, schon, weil das schneller geht. Ich kann ihn zwar nicht so gut bedienen, aber ich kann sagen, was ich haben möchte, wie es besser werden könnte und so weiter.

Diesen Pragmatismus hätte ich mit Peter Zumthor nicht verbunden. Sind Sie am Ende ein Pragmatiker?

Ja. Ich bin so viel, was das Klischee nicht erwarten lässt: Ich bin großzügig, ich kann jederzeit Regeln brechen, bin nicht konsequent im Leben, ich tanze gern mit Freunden bis tief in die Nacht, ich kann es sehr genießen, auch einmal nicht zu arbeiten, das kann ich gut! Ich kann Clubatmosphäre im Betonkubus oder einfache Raumerfahrung im Holzstapel in Hannover, auf der EXPO … Ich muss niemanden etwas lehren, ich bin eigentlich doktrinfrei.

Wer baut dann, wenn das alles so Laissez-faire ist, am Mythos Zumthor?

Zu Beginn, also vielleicht bis vor 20 Jahren, war ich das möglicherweise selbst. Ich war damals viel verschlossener, scheuer auch. Das hat mich härter erscheinen lassen, war aber nur Abwehr. Das habe ich heute nicht mehr. So versuche ich heute, zu jungen Leuten, die mich bewundern, offener zu sein, zugänglicher. Seltsamerweise ist das in der alemannischen Kultur so, dass das Loben fast verboten ist, ned gschimpft is Lob g´nua. Dass ich das jetzt besser kann, kommt wohl mit dem Alter!

Ist diese Entwicklung auf die des Werks übertragbar?

Nein. Ich als Person bin ja nicht identisch mit meinem Werk. Meine Arbeiten – und das hoffe ich, es stimmt – sind zu Ende gedacht. Und sie strahlen eine gewisse Wärme aus, haben Atmosphäre. Das, könnte ich sagen, kommt sicherlich aus meiner Genetik. Mein Sinn für Formen und Stimmungen, für Farben und Materialien, das habe ich irgendwie geschenkt bekommen. Und das alles setze ich konsequent um. Oder lasse es bleiben, weil ich es vielleicht nicht aushalten würde, wenn es nicht so gut würde, wie ich das anstrebe. Das ist meine Art der Perfektion. Glücklicherweise habe ich dafür ein schönes Bild bei der Ilse Aichinger gefunden, das habe ich vorne in dem ersten Band meiner Werkmonografie aufgeschrieben. Sie schreibt da von einem Band aus Metall, das, zum Reifen gebogen, Widerstand leistet, bis es gelötet ist. So erreicht es in der äußersten Spannung äußerste Gelöstheit. Ein fantastisches Bild für diese konsequente, schöne und auch harte Arbeit. Am Schluss steht das Loslassen, die Gelassenheit im perfekten Gleichgewicht.

Gibt es eine Konsistenz in den Arbeiten voller Spannung und Gelassenheit?

Ja, die gibt es. Das ist die Suche nach der richtigen Antwort für den Ort und den Gebrauch. Und hier interessieren mich die Aspekte der Präsenz und es interessiert mich der Raum. Der muss immer wieder neu zusammengesetzt werden aus Materialien, aus dem Licht und dem Schatten, die beide fast alchimistisch miteinander reagieren müssen, um eine stimmige Atmosphäre zu erzeugen.

Was macht den Alltag in der Projektarbeit aus, jenseits aller alchimistischer Reaktionen?

Ich sehe mein Arbeiten als ganzheitlichen Prozess an. Beim LACMA [Los Angeles County Museum of Art; Be. K.] beispielsweise stehen wir hier in Haldenstein im ständigen Austausch mit 50 Planern in den USA. Ich bin überall dabei, schaue mit meinen Leuten, wie viele Lüftungsapparate da und dort benötigt werden. Hier in Haldenstein schauen wir, was der Brandschutz will, wie viele Treppenhäuser wo gebraucht werden und so weiter. Ich habe immer schon darauf bestanden, dass wir das alles auswendig lernen. Was irgendwie nichts anderes ist als blind Klavierspielen. Meine Leute müssen alle Systeme begreifen, begreifen können. Denn wenn wir Dinge hier nicht verstehen, verstehen die das drüben in den USA auch nicht. Dieses „Klavierspielenkönnen“ verhindert, dass wir ständig am Projektfortgang gehindert werden mit „geht nicht“, „so nicht“ und so weiter.

Wie kommt das Büro an die richtigen „Musiker“?

Die meisten wachsen hier in ihre Aufgaben hinein. Spezialisten für das LACMA beispielsweise kann man nicht auf der Straße finden, die müssen das hier bei mir lernen. Mancher Bauherr hat sich schon gewundert, dass ich mit diesen jungen Frauen und Männern kam, die ich als Spezialisten vorgestellt habe. Seit ich nicht mehr unterrichte, bin ich mehr daheim und mein Atelier ist größer geworden. Wir sind jetzt vielleicht zwei Dutzend Architekten und noch rund zehn Mitarbeiter dazu und das Ganze funktioniert so wie eine Schule. Wir arbeiten in vier oder fünf Gruppen an vier oder fünf Projekten gleichzeitig. Hier werde ich als Meister wahrgenommen, bei dem man arbeitet und von dem man etwas lernen kann. Ich sage dabei aber ganz klar, dass ich jeden brauche, denn alleine kann ich das alles nicht schaffen.

Und was finden die Jungen bei Peter Zumthor, was sie woanders nicht finden können?

Meine Direktheit, meine Unabhängigkeit, die ich mir gegen jede Kommerzialisierung bewahren konnte. Sie bauen auf meine Kompromisslosigkeit in der Arbeit, dass ich mich nicht herausrede, wenn Schwierigkeiten entstehen. Und wenn ich rede, dann ist das kein Styropor! Das hören die schon, das klingt echt, das ist alles selbst erfahren und nicht angelesen.

Stichwort Kommerzialisierung: Wie sieht es mit Ihrer Therme in Vals aus: Besteht da noch eine Verbindung, die mehr wäre als eine schöne Erinnerung?

Da bin ich ganz raus (er macht eine lange Pause). Und mich schmerzt das sehr, immer noch, weil wir beide, meine Frau und ich, dieses Projekt gemacht haben; für eine Kommune, eine Gemeinde, für die Öffentlichkeit. Jetzt ist das Projekt komplett kommerzialisiert. Ich hätte mir da etwas anderes gewünscht, aber die Gemeinde hat anders entschieden. Die Therme war mal ein Kulturprojekt, ein Kultort. Jetzt sieht das anders aus.

Sie fahren also nicht mehr hin …

Doch, wir haben ja noch drei Häuser im Tal, da komme ich immer an der Therme vorbei. Aber ich gehe nicht mehr hinein, schade, aber es geht nicht.

Wie sieht es mit dem Traum aus, einmal ein Haus für die Musik zu bauen?

Ja, den gibt es noch, aber bisher noch keinen Bauherrn dazu!

Weshalb Sie vielleicht mit dem Grundsatz brechen könnten, niemals an einem Architekturwettbewerb teilzunehmen, der den Entwurf eines Konzerthauses zum Inhalt hat?

Architekturwettbewerbe haben doch ihre ganz eigenen Gesetze. Wettbewerbe gewinnt man nur, indem man ein Wettbewerbsgewinnprojekt macht. Das muss man dann speziell in eine Richtung hin schärfen … Dafür bin ich schon ein bisschen zu alt, das will ich nicht mehr machen müssen.

Und dann gibt es die Gesetzmäßigkeiten, die eine Jury steuern. Ich war selbst ca. 50mal in einer Jury und habe auch in vielleicht 30 Prozent meiner Entscheidungen nicht Recht gehabt. Dir fehlt einfach der direkte Kontakt zu den Teilnehmern und dann steht irgendwas auf dem Papier, das du ernst nehmen kannst oder auch nicht.

Sie haben einmal gesagt, es sei leichter für die zu bauen, die nicht so viel Geld haben …

O.K., das nehme ich zurück, ich werde reifer.

Zum Schluss dieses Interviews, dem schon viele hundert voran gegangen sind: Warten Sie noch auf eine bestimmte Frage?

In Bregenz, in dieser Gesprächsreihe, die ich mit Künstlern oder Philosophen gemacht habe, war das Gespräch ganz allein für mich. Und die Zuhörer. Da war ich neugierig, wollte Dinge erfahren. In Interviews läuft das anders, da soll ich über mich sprechen. Was nicht heisst, ich würde das nicht gerne tun. Allerdings versuche ich, das in Grenzen zu halten und ich trete auch nicht in jeder Talkshow auf. Man soll über ein Interview den Zumthor spüren, man soll verstehen, was ich als Architekt meine.

Ich will auf keinen Fall den Eindruck erwecken, ich hätte es nicht mehr nötig, mit anderen über meine Arbeit zu sprechen. Ich bin froh, wenn die Fragen klug sind und mir helfen, weiter zu denken. Das geschieht nicht immer, kommt aber vor.

Mit Peter Zumthor unterhielt sich DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am

2. Juli in Münster und 12. Dezember 2017 in dessen Wohnhaus in

Haldenstein.

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