Sanierung der Hospitalkirche, Stuttgart

Hospitalkirche: Geschichte verstehen

Lederer Ragnarsdóttir Oei (LRO) schließen die Erneuerung des Stuttgarter Stadtbausteins Hospitalhof mit der Sanierung des gotischen Kirchengebäudes ab

Wie oft steht der Architekt vor einer Bauaufgabe, in der es um den Umgang mit abgeschlossenen Zeitschichten an einem historischen Gebäude geht?! Im Fall der Stuttgarter Hospitalkirche haben sich die Architekten von LRO das Recht und die Muße genommen mit relativ kleinen Eingriffen für erhellende Klarheit zu sorgen. Dabei standen sie vor einer Bauaufgabe mit einem historischem Erbe, das aus dem gotischen Kirchenbau und dem Teil-Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg besteht. Mit dem architektonischen Eingriff darf man, anstatt am Widerspruch der Reparatur des Historischen zu leiden, nun die klaren Ausdehnungen einer Stadtkirche erahnen.

Bis heute erzählen der Kirchturm und der Rest der Südwand des ehemaligen Langschiffes von den Ausmaßen der Hospitalkirche. Betrat man allerdings den Innenhof, versperrte bisher die zugemauerte Stirnseite aus der Nachkriegszeit die Sicht auf die ursprünglichen Ausmaße und die Tiefenwirkung des Kirchenraumes. Für die Architekten von LRO war klar, dass man die räumlichen Dimensionen des gotischen Sakralraumes wieder nachvollziehbar gestalten sollte und ihm gleichzeitig seine bedrückende Dunkelheit nehmen müsste.

Bereits während der Arbeiten zum Hospitalhof (2009–2014) hatten LRO auf den Grundriss des ehemaligen Langhauses reagiert und junge Bäume an die ehemaligen Positionen der Kirchenpfeiler gepflanzt. Dieser erste verbindende Schritt von Langhaus und Chor wurde durch die Teilöffnung der ehemalig geschlossenen Stirnseite fortgesetzt. Aufgrund dieser Öffnung der Westfassade erfolgt der Eingang nun nicht mehr von der Seite, sondern geradewegs durch einen vorgesetzten Eingangsbaukörper auf der Breite des Langhauses. Der baulich größte Eingriff war der Abbruch der unteren Empore, da hiermit die Fensteröffnungen über dem Eingangsportal vergrößert wurden. Damit wurde erreicht, dass nun mehr Tageslicht den Innenraum durchflutet und man eine höhere räumliche Flexibilität erreicht hat.

Neben diesem architektonischen Eingriff gelang der Spagat zwischen Kosten (2,7 Mio. €), denkmalpflegerischen Belangen, den gesetzlichen Vorgaben und der funktionstechnischen Ertüchtigung. Im Vergleich zum Hospitalhof mag der Eingriff am Kirchengebäude klein erscheinen. Weiß man jedoch um den Wert von Geschichte und Erbe, kann man, wenn man die Kirche demnächst von innen betrachtet, vor dieser wie selbstverständlich wirkenden Veränderung einfach mal den Hut ziehen. M. S.

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