Städtebauliche Korrektur

Hospitalhof von Lederer Ragnasdóttir Oei (LRO) in Stuttgart feierlich eröffnet

„Denken Sie sich, was Sie wollen“, so endet der Text der Architekten, den sie zu ihrem Projekt verfassten und der hier an diesen ersten kleinen Text angehängt wird; weil man es teils nicht besser schreiben kann und auch, weil in ihm die Haltung, oder sagen wir sogar, die Überzeugungen von LRO zum Vorschein kommen wie sonst kaum.

„Vom Turnieracker zum Bildungszentrum“ so ein weiteres Zitat, das man auf der Homepage des Hospitalhofs finden kann, und das die Geschichte einer städtischen Institution zusammenfasst. Mehr als ein halbes Jahrtausend alt ist der bebaute Ort vor den Toren der Stadt Stuttgart, hier wurden Ritter- und Reiterspiele veranstaltet, bevor das Land vor den Toren der prosperierenden Residenzstadt zur Bebauung diente. Und es wurde ein Kloster gebaut, das erste und einzige der Stadt bis heute. Es bestand aus einer Kirche mit Kreuzgang sowie Wohngebäuden für die Ordensbrüder. Kein Jahrhundert später wurde das Kloster im Zusammenhang mit der von Herzog Ulrich (1487 bis 1550) in Stuttgart eingeführten Reformation 1536 aufgehoben, die Kirche wurde evangelisch. In den säkularisierten Klostergebäuden brachte die Stadt ein Krankenhaus, ein Hospital unter. 1944 verschwanden Kirche und viele der umliegenden Häuser in Trümmerhaufen, lediglich der Chor der Kirche wurde wieder aufgebaut.

Wolf Irion, der Architekt des Nachkriegsbaus, ließ die Südwand des zerstörten Langhauses als Ruine, Denk- und Mahnmal stehen und baute auf dem Geviert der Grundmauern des Klosters das Verwaltungs- und Begegnungszentrum, das bis in dieses Jahrtausend hinein den Stuttgartern zur Bildungs- und Veranstaltungsinstitution wurde.

Den Eigentümern, der Evangelischen Kirche, war der der Moderne verpflichtete Bau schließlich zu klein, die Technik reichte nicht mehr aus, die hier stattfindenden Landessynoden adäquat durchzuführen. 2009 ergab ein Realisierungswettbewerb den Zuschlag für den Entwurf der Stuttgarter Lederer Ragnasdóttir Oei (LRO), der im wesentlichen stadträumlich aber auch in der für LRO soliden Detaillierung überzeugt. Ausgangspunkt für die Planung war die Wiederherstellung des alten Rasters, das entgegen der Orientierung Irions am Gegenüber der Neubebauung sich auf die Kirchenachsen bezieht. Dadurch entstehen rund um den Neubau veränderte, sich weitenden beziehungsweise sich verengende Straßenräume. Einerseits. Dann wurde mit der Anknüpfung – formal wie materialbezogen – an die Südfassade des ehemaligen Langhauses die Längsausdehnung der Kirche bis zur Ecke Gymnasiumstraße/Hospitalstraße sowie der Platz vor der Kirche wiederhergestellt.

Das Bildungszentrum Hospitalhof bietet heute neben einem Innenhof, einem ruhigen „Nebenzimmer in der Stadt“ (Arno Lederer) Platz für Verwaltung, Fortbildung, Musikvorträge, Galaabende, Information, Versammlungen und viele weitere Aktivitäten. Hierzu stehen der große Veranstaltungssaal mit seiner schönen Dachwelle im (auch baukonstruktiven) Zentrum, es gibt größere und kleine Säle und Räume für alle möglichen Veranstaltungen.

Die Ballung verschiedener Nutzungen in einem recht einfach erscheinenden L-Körper ergab teils komplexe statische Systeme, die neben rechnerischen Herausforderungen an die Statiker aber auch schöne Details ergeben. So die sich aufweitende Haupttreppe oder Lufträume, die Tageslicht über mehrere Geschosse weit hinunter scheinen lassen.

Der Büroflügel an der Gymnasiumstraße – hier liegenden die kleinen Säle hinter den für LRO schon typischen oben gerundeten Dreiecksfenstern – ist zweihüftig erschlossen, bietet aber durch den Versatz von Raumangeboten entlang der Flurzone eine abwechslungsreiche Bürobinnenlandschaft; zumindest in Teilbereichen der Verwaltung.

24 Mio. € hat der Neubau gekostet, den LRO selbstbewusst als Korrektur eines modernistischen Städtebaus betrachten, jetzt wurde er feierlich wiedereröffnet. Der Baubürgermeister Matthias Hahn bezeichnete ihn als einen Stadtbaustein, was, mit Blick auf die Dinge, die sonst so in der Landeshauptstadt entstehen, Hoffnung machen könnte; wäre es nicht eben nur Worte, die im Zusammenhang mit einer festlichen Eröffnung auch als Eigenlob gedeutet werden müssen. Be. K.

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