Wohnen im Gewerbe

FRIZZ23, Berlin

In Berlin wird gerade viel ausprobiert im Wohnungsbau. Aber ist viel auch immer gleich gut? Mit ihrem Gewerbe-/Wohnbauprojekt FRIZZ23 in der südlichen Friedrichstadt hat das Berliner Architekturbüro Deadline auch die Stadtplanung, Investoren und Eigentümergemeinschaften zu etwas Eigenem bewegen können, das es demnächst achtsam zu pflegen gilt.

Berlin versteht sich als Vorreiter in vielen Dingen. Ganz sicher auch in Sachen Wohnungsbau. Viele Wohnprojekte der Vergangenheit, seien es die großen IBA-Ausstellun­gen, aber auch neueste Bauvorhaben folgen unterschiedlichen, teils konträr entwickelten Konzepten, wie Stadt für seine Bewohner, für seine Nutzer, für seine Eigentümer zu entwickeln sei. Dass die Stadt – wie die meisten deutschen Städte insgesamt – in der Vergangenheit hier auch den Ausverkauf von öffentlichen Flächen betrieben hat, wird dabei gerne verschwiegen. Nachhaltigkeit im Flächenmanagement? Fehlanzeige. So langsam dringt dieses Thema jedoch auch bei einigen städtischen Liegenschaftsämtern im Flächenmanagement durch, neben dem verstärkten Fokussieren auf den Einsatz von revolvierenden Fonds zur Ankurbelung sozialer Invests, gehen viele Kommunen dazu über, Flächenvergaben nur noch auf Erbpachtbasis vorzunehmen. Immerhin.

Druck von der Straße / Architekten als Projektentwickler

Dieser Wandel in der Flächenvergabepolitik ist allerdings nicht ohne den „Druck von der Straße“ vollzogen worden, so jedenfalls Britta Jürgens und Matthew Griffin, Deadline, Berlin, im Gespräch zu ihrem Gewerbe- und Wohnprojekt FRIZZ23. Die beiden sind seit Jahren
im Berliner Stadtbaudiskurs aktiv, sind Gründer und Mitglieder verschiedener Initiativgruppen, Blogger und Vortragende und auch Projektentwickler: „Um bestimmte Ergebnisse erzielen zu können“, so Deadline, „haben wir unser Aufgabenfeld als Architekten über die traditionelle Leistungsbeschreibung des Berufs hinaus erweitert.“

Neben den oben genannten Dingen, die Deadline als Aktivisten für eine andere Stadtbaukultur auszeichnen, sind sie aber schlicht auch Investoren. Womit sie dem Aufruf unserer Heftpaten, Ritz Ritzer und Rainer Hofmann von bogevischs buero folgen, dass Architekten das genossenschaftliche Modell auch einmal kopieren sollen: „Oder noch besser: Gründet selbst welche!“ (hier im Heft auf S. 24).

Architekten als Projektentwickler, genossenschaftlicher Verein? Geht das zusammen mit dem Selbstverständnis, dem Ethos des unabhängigen Planers, Entwerfers, Moderatoren? Es geht und zwar
immer öfter. Jedenfalls in Berlin, wo Architekten nicht nur, aber vor allem im Wohnungsbau wesentlich tiefer, auch durchaus monetär,
in die Projekte involviert sind, als das vor Jahrzehnten noch der Fall war. Partizipatorische Verfahren bedeuten manchmal wohl auch, die Grenzen bisher gelebter Prozesse zu ignorieren und sie auf neuen und gar nicht so komplizierten Wegen zu überwinden.

Vorgeschichte FRIZZ23

Das Gewerbe- und Wohnprojekt FRIZZ23 – der Name kommt von der Adresse Friedrichstraße 23 – hat eine längere und ziemlich komplizierte Vorgeschichte. Entwickelt wurde das Projekt im Rahmen der
ersten Konzeptvergabe des Landes Berlin – hier wurde in der Vergangenheit und wird noch die „Vergabeform Festpreis“ praktiziert. Das Verfahren wurde erst während des Vergabeverfahrens von einem unabhängigen Expertengremium entwickelt und gilt als modellhaft für eine neue Liegenschaftspolitik. Selbstnutzer, Architekten und Investoren bilden die Projektgruppe auf der einen Seite, der Senat und der Bezirk waren die Partner auf der anderen Seite. Dazu kam mit dem Geschäftsführer der Berliner Großmarkt GmbH, Andreas Foidl, der Glücksfall hinzu, dass dieser auf den zum Verkauf anstehenden drei Grundstücken an der ehemaligen Blumengroßmarkthalle mehr wollte, als reine Investorenlösungen, die hochpreisige Wohnflächen schaffen und am Kiez-Bedarf vorbei vermarkten.

Im Rahmen des Konzeptverfahrens gab es Workshops, Verhandlungen mit Bezirk und Bürgerschaft und schließlich die Auslobung des Bewerberverfahrens für die Grund­stücke. Sechs Projektgruppen erreichten die Schlussrunde, in der die Ergebnisse auch öffentlich präsentiert und diskutiert wurden.

Ausgewählt wurden daraufhin die drei Projekte: das „Metropolenhaus 3“ von bfstudio-architekten, Berlin, das „Integrative Bauprojekt am ehemaligen Blumengroßmarkt“ (IBeB) von Heide & von Beckerath, Berlin, mit ifau – institut für angewandte urbanistik, Berlin, sowie FRIZZ23 von Deadline, Berlin. Alle drei mussten sich verpflichten, die Bauprojekte zwei Jahre nach Baubeginn fertig zu stellen.

Während das „Metropolenhaus 3“ mit dem Modell „günstige Flächen für allgemeine kulturelle Nutzungen“ mittels Querfinanzierung punktete, bietet das IBeB eine Mischung aus Genossenschaft und Baugruppe mit Wohnungen und Wohnateliers und einigen Gewerbeflächen im EG. FRIZZ23 überzeugte durch den Mix von gewerblichen Nutzungen im Bereich Kunst, Kreativwirtschaft und Bildung mit Wohnanteil.

Entwurf FRIZZ23

Das vorgeschlagene Nutzungskonzept von FRIZZ23 umfasst Wohnen, Kunst, Kreativwirtschaft, Bildung, Gastronomie und Einzelhandel. Im Erdgeschoss wird es geben einen Recyclingtaschenladen mit Werkstatt, einen Co-Working Space zum Thema Möbeldesign, eine Projekthalle für Veranstaltungen und ein Café mit Gartenterrasse. Das alles unter ein Dach zu bringen, entwarfen die Architekten zwischen Besselpark im Norden und Blumenhalle im Süden einen in der Höhe gestaffelten Riegel, der drei Grundstücke überspannt: „Im Gegensatz zur gängigen Lösung, echte Großvolumen so aussehen zu lassen, als wären sie in Wirklichkeit viele kleine, haben wir drei kleine Nutzergemeinschaften, die ihren bewußten Zusammenschluß auch im Volumen als ein großes Gemeinsames sichtbar machen möchten“, so Matthew Griffin. Optisch und von der Nutzung her ist dieser Riegel in drei Abschnitte unterteilt: Das Bauteil zur Friedrichstraße hin, direkt dem Neubau der taz (E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten, Zürich) gegenüber, hat das in der Nachbarschaft ansässige FORUM Berufbildung finanziert. Hier wird der gemeinnützige Verein Seminar-, Veranstaltungs- und Büroräume auf fünf Geschossen realisieren.

An diesen Bauteil anschließend folgt der in der Ansicht zweigeteilte, weil gestaffelte Mittelbau mit der kleinteiligen Vergabe von Eigentumsflächen an die Kreativwirtschaft mit Agenturen, Künstlerateliers oder Musiker. Alle diese Einheiten wurden im Planungsprozess mit den Eigentümern individuell im Rahmen des offenen Rohbauregals geplant und wo möglich aufeinander abgestimmt. Teile der Agenturen und Künstlerateliers haben offene oder weniger offene Wohnflächen, die allerdings auf definierte Verhältniszahlen zur Gesamtfläche begrenzt sind. Die prozentuale Aufteilung mit den jeweiligen Nutzungen im Gesamtbau wurde zugunsten der Wohnflächen im Planungsprozess erweitert. Die die Anlage abschließen­-
­den Minilofts – zur Miete auf Zeit – sind im Volumen kleiner als geplant realisiert worden, womit sich der Wohnflächenanteil für den Rest erhöhte.

Erschlossen werden sämtliche Räume über innenliegende Flure mit mittig platzierten Fahrstühlen und Treppenhäusern. Eine Stahlwendeltreppe ermöglicht als
außenliegende Nottreppe die Entfluchtung über das Erdgeschoss. Einige Ateliers entwickeln sich über bis zu drei Ebenen. Der Turm im Osten nimmt die Minilofts auf, die mit zunehmender Geschosszahl an Fläche wachsen und oben auch Familien Platz geben. Unter dem Turm, im Erdgeschoss, planen die Architekten ein Café, das sie als Eigentümer selbst betreiben wollen. Hier öffnet sich der Bau in Richtung Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz sowie zum Park. Ebenfalls zum Park liegt ein gemeinschaftlicher Galerieraum, den die Kreativen im Haus für kleine Ausstellungen nutzen können.

Wohnen

Ein zentraler Inhalt des Verfahrens der Konzeptvergabe an der ehemaligen Blumenmarkthalle war, die freigewordenen Grundstücke nicht dem Markt zu überlassen, sondern über diskutierte und dem Partizipatorischen verpflichtete Entwurfs- und auch Planungsprozesse die Stadt neu zu denken. Und sie vor einer dem Renditedenken verhafteten Investorenmentalität zu bewahren.

Wohnen ja, aber Wohnen für alle. Und wenn das nicht möglich ist, dann müssen die Eigen­tümer für das Allgemeine im Stadtraum mitbezahlen. Und es sollte keine Monofunktionalität erzeugt werden, jedes Viertel braucht auch Gewerbe: „Wenn die Produktion von Stadt immer den Moden hinterherläuft“, so Matthew Griffin im Gespräch, „bekommen wir keine gemischte Stadt. Wenn wir aber in diesen Zeiten des Wohnbaubooms an klein­teiliges Gewerbe denken, dann ist das durchaus ökonomischen Gründen geschuldet.“ FRIZZ23 hat nun Gewerbeflächen geliefert, diese aber wiederum durch Wohnflächen angereichert. Auch hier finanzieren sich alle am Projekt Beteiligten quer, die Baugemeinschaft bzw. Baugruppe, der Verein und die Architekten als GbR zahlen für einen Flächenmix, von dessen Nutzung am Ende alle profitieren.

Der Flächenmix ist am Ende auch ein Mix aus Nutzungen, der, wie Britta Jürgens im Gespräch betonte, dazu dient, dass „das Haus abends nicht wie tot sein soll, gerade auch
wegen der Lage direkt am Park. Die Durchmischung wird sicherstellen, dass das Haus auch Nachts belebt ist.“

Fazit

Aus Sicht der Architekten ist das von ihnen entwickelte Nutzungskonzept „Gewerbe mit Wohnen“ für ein ohnehin schon reines Wohnviertel passend und durchaus belebend. Allerdings ist es auch eines, das von Anfang an fragil ist. Insofern, als mit der Übergabe der Räume die Eigentümer in der Pflicht sind, das Konzept auch zu leben. Zwar wird seitens des Liegenschafts-amtes jährlich geprüft, ob das Wohn-/Gewerbeflächenverhältnis nicht zugunsten des Wohnens verändert wurde, doch sollte eine solche Kontrolle im Idealfalle überflüssig sein.

Wie sich das durchaus komplizierte Konstrukt in Zukunft gegenüber Marktbegehrlichkeiten behaupten kann, liegt also bei den Beteiligten. Die müssen nun den über lange und teils auch anstrengende Gespräche erreichten Konsens lebendig halten. Be. K.

Baudaten

Objekt: FRIZZ23
Standort: Friedrichstraße 23, 23A, 23B, 10969 Berlin
Typologie: Baugemeinschaft für
Kulturelles Gewerbe
Bauherr/Nutzer: Forum Berufsbildung e.V, FrizzZwanzig GbR. Miniloft Kreuzberg GbR
Architekten: Deadline Architekten, Matthew Griffin und Britta Jürgens, www.deadline.de
Mitarbeiter (Team): Lorien Beijaert, Wiesje Bijl, Peer Frantzen, Beatrice Kiaunyte, Tim Maaßen, Veljko Markovic, Sarah Milberger, Sasa Müller, Guido Schweiss, Ketsarin Zimmer
Bauleitung: Bollinger + Fehlig Architekten GmbH
Bauzeit: 08.2016 – 06.2018

Fachplaner

Tragwerksplaner: EiSat GmbH, Berlin, www.eisat.de
TGA-Planer: Plaschka GmbH, Berlin, www.plaschka-gmbh.de
Fassadentechniker: Priedemann Fassadenberatung GmbH, Berlin,
www.priedemann.de
Landschaftsarchitekt: planung.freiraum, Berlin, planungfreiraum.de
Brandschutzplaner: KLW Ingenieure GmbH, Berlin, www.klw-berlin.de
Bauphysik: MF Dr. Flohrer Beratende Ingenieure GmbH, Berlin,
www.flohrer.net

Projektdaten

Anzahl der Wohnungen 17
Wohnungsgrößen 25 – 60 m²
Anzahl Gewerbe Einheiten 46
Einheitsgrößen 25 – 280 m² mit 32 % Bildung, 34 % Kunst und Kreativwirtschaft, 15 % Einzelhandel, 15 % Kurzzeitwohnungen und 4 % Gastronomie
Grundstücksgröße: 2 464 m²
Grundflächenzahl: 0,90
Geschossflächenzahl: 2,49
Nutzfläche: 5 648 m² NF (abc)
Technikfläche: 57 m²
Verkehrsfläche: 1 901 m²
Brutto-Grundfläche: 9 324 m² BGF (abc)
Brutto-Rauminhalt: 30 845 m³ BRI (abc)

Baukosten

KG 200 (brutto/netto): 310 000 €
KG 300 (brutto/netto): 9 150 000 €
KG 400 (brutto/netto): 1 950 000 €
KG 500 (brutto/netto): 490 000 €
KG 600 (brutto/netto): 50 000 €
KG 700 (brutto/netto): 3 310 000 €
Gesamt brutto 18 160 000 €
Gesamt netto 15 260 000 €
Hauptnutzfläche 2 700 €/m² netto
Brutto-Rauminhalt 495 €/m³ netto

Hersteller

Fassade Schüco
Dämmung/Dachsystem: Bauder

Informationen zum gemeinschaftlichen Wohnen in Berlin auf:
www.stadtentwicklung.berlin.de/wohnen/
www.liegenschaftsfonds.de
www.netzwerk-generationen.de
www.cohousing-berlin.de
www.locallygrowncity.net

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