Interview

„Es wird Zeit, etwas langsamer zu werden“
Ross Lovegrove im Gespräch mit Petra Lasar





„Alles kann einem Re-Design unterworfen werden“, ist Ross Lovegrove überzeugt. Bestes Beispiel ist das Bambus-Fahrrad, das der Designer bereits vor einigen Jahren für Biomega entwickelt hat. Jetzt hat Bamboo während der Möbelmesse in der „Design Library“ in der Zona Tortona seine Weltpremiere erfahren. „Der richtige Zeitpunkt“, sagt Ross. „Sechs Jahre zu spät, aber ein gutes Timing“. Der schnell wachsende Bambus ist robuster als Stahl und hat dabei eine wunderbar natürliche Ausstrahlung.

Ross Lovegrove gehört weltweit zu den profiliertesten Industriedesignern. Die Ideen für seine emotional berührende Formensprache schöpft er aus den Vorlagen der Natur. Er selbst bezeichnet seinen Stil gerne als organischen Essenzialismus. Der britische Designer entwickelte Produkte für Airbus Industries, Japan Airlines, Guzzini, Kartell, Cappellini, Issey Myake, Apple Computers, Olympus Cameras, Luceplan, Hermann Miller und viele mehr. Vor drei Jahren profilierte sich VitraBad mit einer kompletten Badezimmerserie, deren weiche, fließende Formen die Autorenschaft sofort erkennen lassen. Für die Avantgarde Unternehmen der Möbelindustrie konzipierte Ross Lovegrove immer wieder Projekte, die in ihrer Verbindung aus organischer Ästhetik und technischer Innovation für Aufsehen sorgten. Beispielsweise der Stuhl Supernatural für Moroso mit einer Sitzschale aus glasfaserverstärktem Polypropylen in Spritzgusstechnologie. „Die flüssige, organische Natur der Form verschmilzt durch das modernste Industrialisierungsverfahren für Polymere des 21. Jahrhunderts mit der Schönheit des menschlichen Körpers“, beschreibt Ross Love­grove diese Entwicklung. Fast jedes Jahr wird der Designer mit bedeutenden Preisen ausgezeichnet, und viele seiner Produkte finden sich in Dauerausstellungen berühmter Museen, wie MoMA, Guggenheim Museum, Design Museum in London und Vitra Design Museum in Weil am Rhein.

Im Showroom des japanischen Leuchtenherstellers Yamagiwa gab Ross Lovegrove Petra Lasar während der Saloni in Mailand ein Interview.

Ross, Sie entwerfen in letzter Zeit sehr viele Leuchten. Ist das Ihr neues Lieblings-Metier?

Die Kombination von Licht, von Atmosphäre, von dem Phänomen Licht mit physischer Materie stellt eine grenzenlos kreative Gelegenheit dar. Ich entwerfe sehr gerne Leuchten. Ich liebe neue Herausforderungen. Ich mag mich nicht wiederholen. Deshalb bin ich auch kein Möbeldesigner. Es stimuliert mich nicht genug, es fordert mich technisch nicht ausreichend heraus; ich brauche Innovation.

 

Was würden Sie in Zukunft am liebsten entwerfen?

Ich würde nach wie vor gerne ein Auto entwerfen. Als Konvergenz all dessen, was ich tue. Dazu gehören organisches Design, interessante Materialien und Technologien, und auch die Ökonomie der Form. Und natürlich Nachhaltigkeit. Ein Auto ist für mich das Abbild des Fortschritts. Es kann aber auch das Gegenteil sein.

 

Warum haben Sie bisher kein Auto entworfen?

Die Automobilindustrie arbeitet nicht mit selbständigen Designern wie mir. Vielleicht werden sie es tun, weil ihnen die Ideen ausgehen und sie von außen stimuliert werden müssen. Sie täten gut daran. Ich entwickele beispielsweise immer erst eine Philosophie, bevor ich etwas entwerfe. Ohne Philosophie kann man gar nichts anfassen. Die Automobilindustrie hat ihre Philosophie nie zurechtgerückt. Deshalb ist sie jetzt in der Klemme. Sie machen nur Autos. Wirklich, sie verkaufen Benzin, Öl.

Es gibt doch kleine Unternehmen, die sehr spezielle Automobile herstellen.

Ja, aber die sind in Schwierigkeiten. Denken Sie an Think, die ein Elektroauto bauen. Wir haben uns im letzten Jahr unterhalten, die Reaktion war sehr positiv. Aber dann kam die Wirtschaftskrise und es war vorbei. Man muss schon mit einer großen Marke arbeiten. Tata Motors aus Indien zum Beispiel. Der Nano stellt einen interessanten Durchbruch dar. Es ist kein umweltfreundliches Auto, es soll nur mehr Menschen auf die Straße bringen. Das ist besorgniserregend. Ich finde, Automobilhersteller haben eine ethische Verpflichtung. Sie müssten das Auto für Schwellenländer neu erfinden, und es dann in die Industrienationen zurückbringen.

 

Sie arbeiten in der ganzen Welt. Sehen Sie kulturell bedingte Unterschiede im Design?

Absolut. Darum dreht sich alles. Ich werde als sehr guter kultureller Übersetzer eingeschätzt. Ich arbeite schon seit mehr als 15 Jahren in Japan. Ich habe das Interior Design für Japan Airlines entwickelt. Das ist keine Fluggesellschaft, sondern ein Botschafter Japans. Es ist schon sehr radikal, dass sie einen britischen Designer beauftragen, dabei gibt es dort hervorragende Designer. Aber sie haben mich angesprochen, weil sie Passagiere aus anderen Kulturen erreichen wollen. Wenn sie formal eine Brücke schlagen möchten zwischen Ost und West, brauchen sie jemanden, der dazu in der Lage ist. Einer meiner großen Erfolge ist, dass ich die kulturellen Feinheiten erkennen kann, die die Kulturen selbst nicht sehen. Ich habe viel in Istanbul gearbeitet. Mit Vitra, der Bathroom Company. Wir sind jetzt im fünften Jahr und das Unternehmen ist gewachsen aufgrund meiner Arbeit. Ich entwickele innovative Produkte, kann sie kommunizieren und ihnen eine Zukunft geben. Ich habe den unternehmerischen Erfolg, die Wahrnehmung der Marke und deren Kultur gesteigert. Das versuche ich für jeden Auftraggeber zu leisten.

 

Lassen Sie sich umgekehrt auch von anderen Kulturen beeinflussen?

Viele der Designer, die für Yamagiwa arbeiten, sind meine Freunde. Ich bin davon überzeugt, dass die japanische De­signkultur die beste ist. Sie ist besonders feinfühlig, delikat und selten. Japanisches Design ist etwas Schönes. Shigeru, Fukosawa, sie alle sind erstaunliche Designer. Wenn ich dort bin, wächst mein Respekt und ich werde einfühlsamer. Ich glaube, ich bin ein besserer Designer, wenn ich in einer Kultur wie der japanischen arbeite. Dort sieht man nämlich keine Beschränkungen. Man kann Dinge tun, die man woanders nicht realisieren kann. Die Japaner zeigen umfassenden Respekt für die Natur und die Kultur von Materie.

 

Wie sieht Ihre Vision für die Zukunft aus?

Es wird sich nicht mehr um reine Produkte drehen. Man kann nichts produzieren, ohne eine inneliegende Philosophie. Es wird Zeit, etwas langsamer zu werden und darüber nachzudenken, warum man etwas tut.

Das ist kein neuer Gedanke, das ist ein Resultat dessen, wie die Welt heute ist. Inzwischen haben wir alle begriffen, dass Geld virtuell ist, es existiert nicht. Ganz am Anfang hat mal jemand ein Stück schwarzes vulkanische Glas, weil es selten war, gegen etwas Brot oder Butter tauschen können. Die Länder, die nichts produzieren, haben es schwer, denn sie können nichts verkaufen. Ich denke, es wird möglich sein, mit einer aufgeweckten Öffentlichkeit darüber zu reden, dass alles einem Re-Design unterworfen werden kann. Entweder, um es ökonomischer zu gestalten, mit weniger Materialeinsatz, oder um es nachhaltiger oder leichter zu machen.

Ich beschäftige mich schon seit langem mit Windkraft, mit Solarenergie, mit Architektur. Ich bin nicht der einzige, der weiß, wie man unser Problem lösen kann. Aber wir sollten es auf jeden Fall für eine neue industrielle Revolution nutzen. Ich kann natürlich nicht für andere Designer sprechen. In meiner eigenen Arbeit suche ich immer eine Sprache des Überlebens, wie ich es nenne.

 Wenn Sie Häuser bauen würden, wie sähen diese aus?

Das interessiert mich sehr und vielleicht werde ich mich der Architektur widmen. Mich interessiert dabei eine Art Avantgarde Statement. Ich weiß, dass die Deutschen sehr weit sind mit der Idee nachhaltiger Hightech-Systeme, wie Solaranlagen auf dem Dach. Die Sache aber ist die: Die Produkte sind letztlich sehr trocken gestaltet. Ihnen fehlt es an Emotion. Vielleicht werde ich das weltweit erste Gebäude aus Kohlefaser entwerfen und es auf eine andere Art und Weise mit einem Solarsystem ausstatten. In einer Art neuer Natur. Das muss nicht vordergründig wie Natur aussehen, aber etwas von ihrem Verstand innehaben. Menschengemachte Natur. Ich werde alles dafür tun, die Fehler zu vermeiden, die einige Architekten machen. Das Ego ist eine schwierige Angelegenheit. Damit sollte man vorsichtig sein. Aber ich liebe die Emotion der Skulptur. Organisches Design gehört zu den großartigen Dingen, die die Seele bewegen. Ich werde meiner Liebe zur Form treu bleiben, aber ich vergesse nicht die Diskretion. Das Zurückstellen der eigenen Per­son, statt hauptsächlich an sein Ego zu denken. Das sollte man nicht tun. Was die Architektur angeht, würde ich mich freuen, die Gelegenheit zu haben, mich auszudrücken. Vielleicht ist Japan der richtige Ort, um das zu tun.

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