Die Kraft des Faktischen
Teheran nach 30 Jahren Revolution

Auf die Metropolen in Schwellenländern scheinen auch autoritäre Regime kaum mehr Einfluss zu haben. Mit ihrer Dynamik entziehen sich die Megacities zunehmend der politischen Kontrolle: Teheran nach 30 Jahren Islamischer Revolution.

Als Ajatollah Ruhollah Musavi Khomeini als Revolutionsführer am 1. April 1979 die „Islamische Republik Iran“ ausrief, zählte die Hauptstadt Teheran mit 5 Millionen Einwohnern bereits zu den größten Metropolen der Welt. Innerhalb der Stadtgrenzen blieb das Bevölkerungswachstum mit heute 7,5 Millionen Einwohnern relativ überschaubar. Faktisch jedoch erstreckt sich Teheran mit geschätzten 14 Millionen Einwohnern inzwischen bis an die Grenzen der gleichnamigen Provinz. Mit Ausbruch des neun Jahre dauernden Ersten Golfkriegs 1980 setzte eine bis heute währende Landflucht ein, der Politik und Wirtschaft kein auch nur annähernd adäquates Wohnbauprogramm gegenüberzustellen vermochten. Die Wohnungsknappheit in Teheran führte alsbald zu eine enormen Anstieg der Miet- und Immobilienpreise, sodass sich die meisten Zuwanderer im günstigeren Standumland ansiedelten, ohne dass es dort zu einer entsprechenden Nachrüstung mit Infrastruktur, sozialen Einrichtungen oder auch Arbeitsstätten gekommen ist.

Im Unterschied zur statistisch nicht fassbaren demographischen Entwicklung ist die Zunahme der Motorisierung Teherans exakt dokumentiert: Rund 230 000 zusätzliche Pkw pro Jahr verschärfen die Situation in der von 4 Millionen Autos und ebenso vielen Motorrädern ohnehin schon verkehrsüberlasteten Stadt noch weiter. Selbst am späten Abend sind auch fünfspurige Einbahnstraßen noch heillos verstopft.

Die Automassen verdrängen jegliches
Leben aus dem öffentlichen Raum: Vielerorts bilden Fußgängerbrücken die einzige Möglichkeit, die Fahrbahn sicher zu überqueren – allerdings nicht für Alte, Behinderte oder Mütter mit Kleinkindern. „Der Verkehr hat totale Formen angenommen“, schildert die Architektur- und Stadtplanungspublizistin Soheila Beski die dramatische Entwicklung. „Die vielen Autos haben Teheran so groß und gleichzeitig aber auch so klein gemacht, dass man an einem Tag nirgendwo anders mehr hinfahren kann als von zu Hause zur Arbeit und wieder zurück.“

Noch schwerer als die zunehmende Unbeweglichkeit wiegen die Folgen für Umwelt und Gesundheit. Die vorherrschende Wetterlage in Teheran heißt seit Jahren schon Smog. Selbst von offizieller Seite ist von jährlich 10 000 Todesfällen infolge der Luftverschmutzung die Rede. Abhilfemaßnahmen wie eine Prämie für jene, die ihr altes Fahrzeug durch ein neues ersetzen, fruchten nichts, zumal die wertlosen Russschleudern nicht verschrottet, sondern an weniger Begüterte weiterverkauft werden. Bei einem subventionierten Spritpreis von 8 Cent je Liter stellen die bis zu 40 Jahre alten Autos für zig-Tausende illegale Taxifahrer die Existenzgrundlage dar, die angesichts des unzureichenden Angebots an öffentlichen Verkehrsmitteln gesichert scheint.

„Das grundlegende Übel ist der Ausverkauf Teherans an Investoren und Spekulanten, der 1987 unter Bürgermeister Karbastshi begann und bis heute andauert“, kritisiert Jahanshah Pakzad, Professor für Stadtgestaltung an der Shahid Beheshti Universität Teheran. „Dadurch verliert die Stadt mehr und mehr ihren Charakter.“ In Karbastshis Amtszeit fielen unter anderem der Bau monströser Stadtautobahnen, dem etwa ein ganzer Bezirk südlich des Bazars geopfert wurde, sowie der Bau zahlreicher, oft spekulativ errichteter Hochhäuser, die in völligem Wildwuchs traditionelle Strukturen zerstörten. „Wenn die Pläne für ein Gebiet eine Überbauung von maximal 100 Prozent vorsahen, ein Projektwerber aber eine Dichte von 400 Prozent wollte, erhielt er gegen eine entsprechende Abgeltung flugs die gewünschte Genehmigung“, illustriert Professor Pakzad Stadtplanung à la Teheran.

„Andererseits“, relativiert der aus Teheran stammende und heute in Wien lebende Architekt Nariman Mansouri vom Verein X-CHANGE, „sorgte Karbastshi für die Errichtung von Kulturzentren und öffentlichen Parks, wodurch auch ärmere Bezirke aufgewertet wurden.“ Kennzeichnend sei in jedem Fall seine pragmatische Vorgehensweise gewesen, oft informell und an den Mühlen der Bürokratie vorbei. Dies erlaubte ihm, die im Iran übliche Vorlaufzeit von Großprojekten von durchschnittlich 14 Jahren merklich zu verkürzen, brachte aber schließlich den allmächtigen Staatsapparat gegen ihn auf: 1998 wurde der eigenwillige Kommunalpolitiker wegen „Missbrauchs öffentlicher Mittel“ und „schlechter Amtsführung“ zu fünf Jahren Haft, 60 Peitschenhieben sowie einer hohen Geldstrafe verurteilt – und mit einem zwanzigjährigen Betätigungsverbot in öffentlichen Ämtern bestraft.

Reinhard Seiß, Wien. Seiß ist Stadtplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien sowie Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung.

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