„Der Rückzug ins Private muss möglich sein“


Daniel Theiler zum Thema „Urbanes Wohnen“

Viele Menschen auf knappem Raum – das erfordert besondere Lösungen. Daniel Theiler entwarf mit seiner Diplomarbeit URBAN+ einen genossenschaftlichen Wohnungsbau in Zürich. Das Ausloten der angemessenen Dichte und das Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum bildeten die Kernthemen des Entwurfs.

Wer soll der Bewohner von URBAN+ sein?

Städtischer Wohnraum muss den Bedürfnissen einer breiten Mieterschaft gerecht werden. Die fortschreitende Reurbanisierung fordert neue und dichtere Wohnlösungen, bei denen die gesellschaftlichen Veränderungen berücksichtigt werden müssen: Die Pluralisierung von Lebensstilen, der demografische Wandel und die Aufhebung der Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen sowie der Trend zur Individualisierung. Die Planer haben hier eine besondere soziale Verantwortung. Der Wohnungsbau in den Städten muss die Diversität der Gesellschaft widerspiegeln.

 

Wie gestalten Sie diese Komplexität städtebaulich/architektonisch?

Der Entwurf stellt neben der individuellen Lebensweise auch die nach­barschaftliche Gemeinschaft in den Vordergrund. Um die Bildung sozialer Brennpunkte zu vermeiden, ist es wichtig, Siedlungen mit Begegnungsräumen für die Bewohner wie Stadtviertel zu planen. Das allein generiert aber noch keine Stadt. Erst die Durchmischung von Wohn-, Dienstleistungs- und Gewerbeflächen führt zu belebter Urbanität. URBAN+ bringt das in einem kompakten Baukörper unter, der als städtebauliche Dominante im urbanen Kontext auftritt. Die Großform adaptiert den Charakter des gegenüberliegenden Parks in Form einer Terrassierung mit privaten und gemeinschaftlichen Grünflächen.Auf Wohnungsebene wird die Komplexität durch eine Skelettbauweise erreicht: Von der kleinen Einzimmerwohnung bis zu Geschoss-, Maisonette- und Großwohnung für WGs über mehrere Etagen ist alles möglich. Das Gebäudebild unterstreicht die Individualität der einzelnen Bewohner.

Sie haben sich viele Gedanken zum T­hema Nachbarschaft gemacht. Erläutern Sie uns Ihre Ergebnisse dazu.

Dem Verhältnis von Gemeinschaft und Individuum kommt im dichten Wohnungsbau eine besondere Bedeutung zu. In Kooperation mit der Sozialpsychologie der Universität Zürich habe ich eine Umfrage durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen Wohnzufriedenheit und nachbarschaftlichem Kontakt zu untersuchen. Wir haben einen kurvenlinearen Zusammenhang gefunden. Nachbarschaftliche Kontakte führen zwar zu mehr Wohnzufriedenheit, aber das richtige Verhältnis ist wichtig. Die Möglichkeit zu sozialen Kontakten soll gewährleistet werden, aber der Rückzug ins Private muss möglich sein. Diese Erkenntnis wurde in die konkrete Gestaltung des Gebäudes überführt.

Jede Wohnung verfügt z.B. über einen privaten Außenraum in Form einer Terrasse oder Loggia. Öffentliche und gemeinschaftliche Nutzungen wie z. B. Kindergarten, Läden und Gemeinschaftsräume tragen zur Belebung bei. Interne Wege, Plätze und Aussichtsplattformen ergänzen das Angebot. Quartiersöffentlichkeit lebt vor allem durch Mitgestaltung, daher werden die Einrichtungen in Eigenregie durch die Bewohner geführt.

Jede Wohnung verfügt über einen gläsernen PLUS-Raum zwischen Wohnung und Erschließung. Die Nutzung wird von den Bewohnern selbst bestimmt. Der PLUS-Raum wird zum Ort der Selbst­darstellung – auch kleine Läden lassen sich dort einrichten. Ein Vorhang sorgt für Privatsphäre. Eine Siedlungsstrasse schlängelt sich durch das Gebäude und verbindet alle Gemeinschaftseinrichtungen. Diese von mir als Rue au Travers bezeichnete Siedlungsstrasse macht die besondere Wohngemeinschaft auch von außen sichtbar.

Mir ist es wichtig, dass im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit ­wissenschaftliche Erkenntnisse in die Architektur der Zukunft einfließen. Wir planen z. Zt. die Gründung eines Instituts, das sich an der Schnitt­stelle zwischen Architektur und Sozialwissenschaften befindet und die Auswirkungen von Wohnungsbau auf die Bewohner empirisch untersucht.

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 04/2018 Ein Quartiersbaustein in der Stadt

Wohnen im Projekt wagnisART, München

wagnisart, bogevischs buero

München ist beliebt. Besonders bei finanzstarken Kapitalanlegern, die die Preise für das Wohnen in den letzten Jahren haben explodieren lassen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat die Stadt...

mehr

Zehn Preise - zehn Besondere Anerkennungen

Deutscher Bauherrenpreis Modernisierung 2013 in Berlin verliehen

Am 18. September 2013 war es wieder einmal so weit, dann wurden die Preise des Wettbewerbs zum Deutschen Bauherrenpreis 2013 in der Kategorie Modernisierung verliehen. Unter dem Vorsitz von Prof....

mehr
Ausgabe 04/2018

Rückzug und Rausgehen – Thema im Wohnungsbau „Was ist Gemeinschaft und was ist Individualität? Das ist das, was einen beim Wohnungsbau immer treibt.“

DBZ Heftpaten bogevischs buero in muenchen DBZ Deutsche BauZeitschrift

Was für ein Erfolg: Deutscher Städtebaupreis 2016; prämiert mit dem DGNB Preis „Nachhaltiges Bauen“ 2017; Auszeichnung in der Kategorie Partizipation und Planung beim Deutschen...

mehr
Ausgabe 03/2016

Soziale Aspekte im Wohnungsbau Die weichen Faktoren nachhaltiger Architektur

Die Bewertungsbereiche im Rahmen der Nachhaltigkeitszertifizierung gehen weit über eine rein energetische Betrachtung hinaus, die so oft als der wesentliche Baustein des nachhaltigen Bauens genannt...

mehr
Ausgabe 03/2012

Demenzkranke bleiben aktiv! Das Wohndorf „De Hogeweyk“ in Weesp/NL

Beim Wettbewerb dieses Pflegeheims präsentierten Molenaar & Bol & Van Dillen Architecten im Gegensatz zu ihren zwei Konkurrenten bewusst kein Gebäude, sondern eine Denkstrategie und deren...

mehr