„Das Neue kommt auf leisen Sohlen“

Dipl.-Ing. Architektin Gudrun Sack zum Thema „Bezahlbarer Wohnungsbau“

Die aktuelle Diskussion um einen zeitgemäßen Wohnungsbau in Deutschland ist eine erfreuliche Entwicklung. Erfreulich, weil sie einen umfassenden sachlichen Diskurs in Gang gesetzt hat, der alle
gesellschaftlichen Bereiche mit einbezieht und uns als Gemeinschaft endlich dazu auffordert, über unsere Zukunft substanziell nachzu­denken. Um bezahlbaren Wohnraum in Wachstumsregionen für die unteren und mittleren Einkommensgruppen bereit stellen zu können, müssen zum einen wirtschaftliche und politische Rahmenbedingun­gen geschaffen werden, zum anderen stellt sich für die Planer die grundsätzliche Frage, wie ein zeitgemäßer Wohnungsneubau gestaltet sein sollte.

Chance des Wohnungsneubaus

Entscheidend ist die Bestandsanalyse des jeweiligen Ortes, um einen zielgerichteten Bedarf für Neubauten zu ermitteln. Hierbei sollte versucht werden, den Bestand wirksam zu erhalten und zu aktivieren (Nutzen von „grauen Energien“). Neubauten sollten nicht die ungebrochene Wiederholung von ubi­quitär am Markt etablierten Typologien sein. Hier sollten wir Neubauten als Chance sehen, aus den Fehlern in der Vergangenheit zu lernen wie andererseits Wohntypologien konsequent und kontinuierlich an die sich verändernden Lebensumstände anpassen zu können.

Neue Grundrisstypologien – Möglichkeitsräume

Das Zusammenleben hat sich geändert. Strukturen von Lebensgemeinschaften lassen sich ebenso wenig in Standards abbilden wie die Gestaltung von dezentralen Arbeitsplätzen. Möglichkeitsräume: Gefragt sind spezifische Räume für heute und morgen, die durch eine erhöhte Schaltbarkeit und ein qualitätvolles Raumangebot den Benutzern Möglichkeiten bieten, auf eine sich verändernde Zeit zu
reagieren: Schalträume, Teilbarkeit, Doppelcodierung, Mehrfacherschließung und Gemeinschaftsräume sind hier planerische Begriffe der neuen Grundrisstypologien.

Mitgestaltung des Wohnumfeldes – Robustheit

Die Bewohner wollen sich heute im Wohnen selbst verwirklichen. Es geht um die Entwicklung von intelligenten und robusten Haus- und Grundrisskonzepten, die sich der Lebenszeit und den gesellschaftlichen Veränderungen anpassen können. Außerhalb der Wohnungen sind Kommunikationsräume und Räume für ausgelagerte Funktionen hilfreich.

In bezahlbaren Wohneinheiten denken – Reduzierung von Flächen: Wohnen sollte heute in kleinteiligen autarken Raumeinheiten gedacht werden, die zu größeren Wohneinheiten geschaltet werden können. Hinterfragte werden sollte auch das Denken in standardisierten Zimmerkategorien oder in qm Wohnfläche.

Energetische Standards hinterfragen – vernetzt denken

Im Neubau ist in Deutschland bereits ein guter energetischer Standard erreicht, die verbleibenden Einsparpotentiale erfordern hier im Vergleich zum Bestand einen unverhältnismäßig hohen Aufwand. Jede weitere Verschärfung der EnEV bremst bezahlbaren Wohnungsneubau und macht gesamtwirtschaftlich keinen Sinn. Zukünftige Energiesysteme werden vernetzt und dezentral gedacht und nicht mehr als energetische Bilanzermittlung eines einzelnen Gebäudes. Zu einer kreativen energetischen Betrachtung gehört auch das Umdenken im Bereich der Tages- und jahreszeitlichen Nutzung: es gibt Räume, etwa Übergangsbereiche zwischen innen und außen, die energetisch anders betrachtet werden können, also z.B. nicht voll gedämmt werden müssen, weil sie zeitabhängig genutzt werden.

Hinzu kommen Stichworte wie „Höhere Verdichtung – in der Innenstadt die Ausnahme zur Regel machen“ und „Bauqualität und Baunor­men“, beides sollte mit Blick auf größere Kreativität einerseits wie klugem Entgegenkommen andererseits gelebt werden.


Fazit

Die Innovation liegt im Hinterfragen des heute wirklich Notwendigen. Es sind nicht die spektakulären großen Schritte, die einen zeitgemäßen bezahlbaren Wohnungsneubau ermöglichen, es sollte nicht um so genannte Visionen gehen. Es ist die Summe der kleinen wohlkal­kulierten Maßnahmen, die zum Erfolg führen. Das Neue kommt auf ­leisen Sohlen.

Die Architektin

Dipl. Ing. Architektin Gudrun Sack führt seit 1996 zusammen mit Walter Nägeli das Büro NÄGELIARCHITEKTEN in Berlin und Karlsruhe. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit neuem Wohnungsbau unter ökonomischen, ökologischen und auch interkulturellen Aspekten.

www.naegeliarchitekten.de

x

Thematisch passende Artikel:

Ausgabe 08/2013

Erfreulich sachlich  

„Der Anfang ist getan, es gibt noch viel zu tun!“ schrieb ich in der Rezension zu Band 1 der Werkmonografie-Reihe zum Œuvre von Josef Paul Kleihues. 2008 war dieser Band erschienen. Verlag,...

mehr

Wege aus der Wohnungsbau-Krise

15. Wohnungsbau-Tag: Mehr Förderung, einfacher bauen

Vorgestellt wurden auf dem Branchen-Gipfel zwei Wohnungsbau-Studien: Darin prognostizierten die Experten, dass das Wegbrechen des Wohnungsneubaus der Volkswirtschaft in diesem Jahr Milliarden-Verluste...

mehr
Ausgabe 10/2015

Chancen im Wohnungsbau Carsten Venus, blauraum architekten, Hamburg zum Thema „Wohnungsbau“

Wohnungsbau ist so individuell wie das Wohnen selbst. Um hier eine Ordnung reinzubringen, wird in Wohnungsklassen unterschieden, die vom geförderten Wohnen bis zum Luxusapartment und von der...

mehr
Ausgabe 03/2016

Das Ziel heißt: kostengünstiger Wohnungsbau

Man weiß schon gar nicht mehr, wie oft oder auch wie lange wir eigentlich schon darüber dis­kutieren, dass wir bezahlbaren, kostengünstigen Wohnungsbau brauchen und dass knapper Wohnraum und...

mehr

Diskurs bauen: WerkBundStadt Berlin

KAP-Forum lädt Paul Kahlfeldt, Christoph Ingenhoven und Arno Brandlhuber ins MAKK zur Präsentation/Diskussion, 30. März 2017, ab 19 Uhr

Rund 90 Jahre später will der Werkbund Berlin sich erneut am städtebaulichen Diskurs beteiligten und Antworten für den zeitgenössischen Wohnungsbau liefern. Am Berliner-Spreebord soll unter der...

mehr