Das Dach und die Kunst
Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt/Stiftung Moritzburg, Halle/Saale

 

Die im 30-jährigen Krieg zerstörte Ruine der Moritzburg wurde von den spanischen Architekten Nieto Sobejano mit einer kühnen Dachkonstruktion zu einem neuen Museumsflügel ausgebaut. Funktion und Gestaltung, Konzept und Kontext fügen sich zu einer gelungen­en Einheit zusammen. Der 18 Mio. € teure Erweiterungsbau wurde überwiegend aus Europa-Strukturfondmitteln, aber auch durch die Bundesregierung und das Land Sachsen-Anhalt finanziert.

Eine Ruine im Dornröschenschlaf

Die Moritzburg hat eine lange und bewegte Geschichte: Vor 500 Jahren als spätmittelalterliche Bischofsburg gegen die Hallenser Bürger gebaut, fiel sie schon 100 Jahre später einer verheerenden Feuersbrunst zum Opfer. Die Südwestbastion wurde im Gerangel um die Besetzung durch schwedische Batallione sogar völlig hinweggesprengt. Seitdem war „die Ruine“, wie die Burg in Halle heißt, sich selbst überlassen. Unterschiedliche Nutzungen hinterließen ihre Spuren, auch baulicher Art. Pläne zum Wiederaufbau wurden geschmiedet und wieder verworfen, wie der von Karl Friedrich Schinkel, der die Burg 1829 für die Universität nutzbar machen wollte.

Um 1900 wurde die Burg schließlich teilweise wieder aufgebaut, als Stadt- und Provinzialmuseum. Zu der architektonischen Melange aus verschiedenen Stilepochen von Spätgotik bis Barock gesellten sich, durch Spenden von Hallenser Bürgern finanziert, der Nachbau eines Renaissancehauses aus der Innenstadt und historisierende Wehrgänge am Ostflügel. In den 20er Jahren zählte die Moritzburg zu den wichtigsten Museen für die Klassische Moderne in Deutschland, bis die von den Nazis als „Entartete Kunst“ diffamierte Sammlung durch Beschlagnahmungen ihre wertvollsten Gemälde verlor. Zur DDR-Zeit entwickelte sich die Burg zu einem multifunktionalen Kulturzentrum. Das Museum dümpelte wegen des eingeschränkten Raumprogramms wenig beachtet vor sich hin.

Radikalität mit Fingerspitzengefühl

Das spanische Architektenehepaar Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano hat die Moritzburg nun mit seinem spektakulären Entwurf ins 21. Jahrhundert gebeamt. Ein im Sonnenlicht silbrig glänzendes Aluminiumdach umschließt wie eine Spange die heterogene Dachlandschaft der Burg und vervollständigt das Ensemble mit seinen kubistisch anmutenden Oberlichtern. Der Eingang wurde in die Nordwestecke des Innenhofes verlegt und von einem ebenfalls aluminiumverkleideten Korpus aufgenommen. Anstelle der fehlenden Südwestbastion entstand ein neuer Treppenturm. Schiefwinklig und betonlastig stellt er mit seiner Aluminiumhaut das dritte Element der expressionistischen Intervention dar.

Die neuen Elemente heben sich deutlich vom historischen Bestand ab, treten trotz ihrer Monumentalität dezent zurück und lassen der geschichtsträchtigen Burgruine den Vortritt. Über den Ruinenstümpfen der Nordfassade gewährt ein Fensterband respektvolle Distanz zu den mehr als 500 Jahre alten Bruchsteinmauern. Auf dem Westflügel ruht das schimmernde Dach fast schwebend, vom Mauerwerk durch eine schmale Fuge getrennt, breitet sich wie eine schützende Hand über die historischen Wände mit ihren Beschädigungen und den leer gebliebenen Fensteröffnungen. Die kubistische Dachlandschaft verstehen Fuensanta Nieto und Enrique Sobejano auch als eine Reminiszenz an die Formensprache des Expressionismus und die Malerei von Lyonel Feininger. „Bei der Moritzburg interessierte uns mehr noch als die Beziehung zwischen neuer Architektur und historischem Gebäude, wie man einen Dialog zwischen der Formensprache des Expressionismus herstellen kann, speziell der Formensprache Lyonel Feiningers, der sein Atelier in der Moritzburg hatte und in dieser Zeit den wundervollen Zyklus der Halle-Bilder malte. Wir fragten uns, wie wir eine Sprache aus der Malerei in eine architektonische Sprache übersetzen und gleichzeitig räumlich ausdrücken könnten.“ 


Konkrete Architektur

Wie eindrucksvoll ihnen das gelungen ist, zeigt sich in der Ausgestaltung des Innenraums. Die ursprüngliche Raumdimension der fast 90 m langen Halle des Westflügels blieb in ihrer vollen Größe erhalten. Glatte weiße Flächen, klare Linien und die minimalistische Materialwahl treten in Dialog mit den alten Steinen der unverputzten Außenwand. Ein schmaler, mit Kieseln gefüllter Streifen schafft auch hier diskrete Distanz zwischen Alt und Neu. Die neuen Ausstellungsräume wurden als White Cube an die Stahlkonstruktion des Daches gehängt und sind von einer Galerie im Obergeschoss begehbar. Durch das Raum-in-Raum-Prinzip entstehen eine Vielzahl von Raumhöhen und Raumgrößen in der historischen Kubatur. Die darüber aufragen­den Prismen im Dach lassen das Licht auf den weißen Wandflächen spielen und erzeugen mit ihren Schräglagen und Ausstülpungen eine spannungsvolle Atmosphäre, die im überraschenden Raumerlebnis im Innern der White Cubes ihren Höhepunkt findet. Erinnerungen an die kristalline Transparenz der Malerei von Feininger werden wach, mit der der Künstler seine Architekturbilder abstrahierte. Die dem Museum verbliebenen Bilder des Halle-Zyklus von Lyonel Feininger werden auf einer eigens dafür geschaffenen Empore gezeigt, von wo aus große Panoramafenster genau den Blick auf die Stadt freigeben, der den Maler zu seinen Werken animiert hat.

Im Nordflügel wird die Raumstruktur mit Galerien und eingehäng­ter White Cube fortgesetzt, wenn auch die alten Mauern diesmal hinter die weißen Verkleidungen zurücktreten. Der dem Eingangsbereich zugeordnete Erschließungskern wurde in dezente graue Faserzement-
platten gekleidet und übt sich in Zurückhaltung. Von der Ausstellungsebene im Obergeschoss hat man dank der großzügigen Glasfassade einen einzigartigen Ausblick auf den Burghof und die Türme der Stadt. Insgesamt wurden durch den Umbau 2 100 m² neue Ausstellungsfläche geschaffen sowie ein Servicebereich von 400 m².


Weiterbauen

In ihren Entwürfen suchen die spanischen Architekten immer die Aus­einandersetzung mit dem Ort und besonders mit seiner Geschichte. Mit großem Respekt vor einer der berühmtesten Ruinen Deutschlands haben sie mit dem Ausbau der Moritzburg einen wichtigen Beitrag zur Rekonstruktionsdebatte geleistet. Der beschädigte Charakter der Burg­ruine bleibt auch im Erweiterungsbau bestehen, die Geschichte der Moritzburg wird für Besucher auch in Zukunft erfahrbar und ablesbar bleiben. Und doch ist Nieto Sobejanos Architekturhaltung keinerlei konservatorischen Interessen geschuldet. Mit in die Zukunft gerichtetem Blick transformieren die Madrider Architekten die Moritzburg in die Gegenwart, bewahren das Alte, indem es im Neuen aufgehoben wird. Statt der architektonischen Vielfalt der Burg einen modernen Neubau hinzuzufügen, wurde das Museum konsequent weitergebaut – und als Haus der Moderne neu erfunden. Inga Schaefer, Bielefeld

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