„Bau- und Raumakustik
im Planungsprozess“

Dipl.-Ing.(FH)
Helmut Gerlinger zum Thema „Akustik“

Überall und immer Lärm. Verkehrslärm von außen, Musik aus der Wohnung nebenan, lautes Telefonieren vom nächsten Arbeitsplatz, der Lärm im Betrieb. Ruhe und Privatheit – die Abwesenheit von Geräuschen – ist schwer zu finden. Dabei hat jeder von uns das Bedürfnis nach Ruhe, aber für diese Ruhe müssen immer größere technische, akustische Anstrengungen unternommen werden.

„Menschen in Aufenthaltsräumen vor unzumutbaren Belästigungen durch Schallübertragung zu schützen“ ist als Ziel in der DIN 4109 „Schallschutz im Hochbau“ formuliert. Schutz vor unzumutbaren Belästigungen als unterste Schwelle und Maßstab für den gesetzlichen Mindestschallschutz auf der einen Seite und ein hoher Schutz der Privatsphäre als Komfortschallschutz auf der anderen Seite ist beides planbar – auch mit einigen Zwischenstufen im Schallschutzniveau. Diese Planbarkeit ist für das richtige Maß des Schallschutzes Voraussetzung.

Das Thema der Bau- und Raumakustik nimmt einen besonderen Stellenwert ein, vor allem, wenn hohe Anforderungen an die Raum­akustik gestellt werden. Eine gute Akustik ist nicht nur im Konzertsaal oder in der Kirche wichtig und ein zentrales Anliegen der Nutzer. Beginnend beim reinen Lärmschutz in der Industrie am Arbeitsplatz und lauten Arbeitsplätzen im Kindergarten, in Mehrpersonenbüros über Räume zur Sprachverständlichkeit – Besprechungsräume und Vortragsräume (Klassenräume, Hörsäle) – über Tonstudios und Musikübungsräume bis zu Aufführungsräumen für Sprache und Musik und Konzerthallen spannt sich der Bogen der Raumakustik. Häufig wird ein Bauphysik-Fachinge­nieur eingeschaltet, der dann auch die Belange des Schallschutzes und der Raumakustik vertritt und in den Planungs­prozess eingebunden ist. Aber, es wird im Planungsprozess kaum ein Thema so oft vernachlässigt wie das der Raumakustik.

Im Kindergarten können Schallpegel über 85 dB(A) liegen – eigentlich müsste Gehörschutz getragen werden. Eine Erzieherin mit Kapsel-Gehörschutz? Geht nicht. Aber warum ist es so laut? Die Kinder. Aktiver Schallschutz an der Quelle? Geht auch nicht. Und der Raum? Alle Flächen hart und schallreflektierend – wurde die Raumakustik vergessen? Also der Kindergarten als lauter Arbeitsplatz? Ja, denn auch Kinderstimmen können extrem laut sein und bei dauerhafter Einwirkung das Gehör schädigen. Daher muss die Raumakustik als Arbeitsumfeld höchste Priorität bei der Planung von Neu- und Umbauten finden.

Selbst in modernen Wohnräumen sind raumakustische Maßnahmen erforderlich damit ansprechend gestaltete Räume auch akustisch zu einem Genuss werden. Fachplaner für Raumakustik, ein Teilgebiet der Bauphysik, erstellen eine raumakustische Planung entsprechend der Normen und Richtlinien und stimmen diese mit dem Architekten und Bauherrn ab. Mit einer raumakustischen Planung werden teure Nachrüs­tungen vermieden und der Raum funktioniert von Anfang an.

Die Bauteilaktivierung zum Beispiel greift in die Möglichkeiten der Raumakustik ein. Wird hier eine Akustikdecke eingesetzt, ist die Bauteilaktivierung abgekoppelt, so dass in Abstimmung mit dem Planer andere Lösungen gesucht werden müssen, wie Akustiksegel, Wandabsorber o.ä. Was bedeutet Schallschutz beispielsweise beim Bürogebäude: Wo will man Vertraulichkeit, wo ist sie nicht erforderlich? Was heißt Vertraulichkeit und wie hängt sie mit der Schalldämmung zusammen? Dies muss vom Bauherrn mit Planer und Fachplaner diskutiert und festgelegt werden, um eindeutige Planungsvorgaben zur Dimensionierung der Bauteile zu bekommen. Nicht nur die Wand, sondern auch die flankierenden Bauteile müssen betrachtet werden, die Lüftungskanäle, der Hohlraumboden, die abgehängte Decke, die Fassade mit Anschluss-Schwert. Für alle erforderlichen akustischen Maßnahmen gilt: Wichtig in der Zusammenarbeit mit Architekten und anderen Fachingenieuren ist die Kommunikation und der Dialog, um schon im Planungsprozess gemeinsam die akustischen Anforderungen festzulegen.

Der Ingenieur
Studium Bauphysik an der HfT Stuttgart – Hochschule für Technik, 1984 Ab­schluss als Dipl.-Ing.(FH) Bauphysik mit Aus­­zeichnung. 1984–1985 in Wiesbaden ITA als Projektingenieur und 1985–1989 in München ACCON als Projektingenieur. 1989 Gründung des Ingenieurbüros  Gerlinger + Merkle GbR, seit 1995 Ge­­schäftsführer und Gesellschafter Ger­linger + Merkle Ingenieurgesellschaft für Akustik und Bauphysik mbH. Lehr­tätigkeit seit 1996 an der HfT Stutt­gart. 1996 bestellt als öffentlicher und vereidigter Sachverständiger für Bauaku­stik, Schall­schutz im Hochbau sowie Schallimmissionsschutz von der IHK Region Stuttgart

www.g-m-gmbh.de

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