Bahnchef steigt in die Grube

Sechs Jahre nach Baubeginn wird der Grundstein für das Prestigeprojekt Stuttgart21 gelegt. Von Rüdiger Sinn, Deggenhausertal

Aus den Lautsprecherboxen schallte klassische Musik hinunter ins Baufeld, um die Sprechchöre und Pfiffe der Demonstranten im Hintergrund zu übertönen. Die Sprachfetzen sind trotzdem zu hören. „Lügenpack“, rufen die Demonstranten und „Oben bleiben“. Es ist ein bisschen wie immer beim Megaprojekt Stuttgart 21 (S21), wenn es – wie am Freitag vergangener Woche – um einen offiziellen Anlass geht: Heute ist die Grundsteinlegung und es ist ein wenig wie auf einem Familientreffen. Die Honoratioren sind gekommen, es wird viel gelacht und geflachst, das Buffet ist gut gefüllt und es gibt diverse Sonntagsreden. Der Architekt ist da, der Projektleiter der Bahn, Prominenz aus der Politik – obgleich die Grünen (die immer gegen das Projekt waren und aber den Ministerpräsident im Land stellen) fehlen – und Onkel Rüdiger – gemeint ist Bahnchef Rüdiger Grube – darf auch etwas sagen. Also so ähnlich, wie vor sechs Jahren als der Bau begann.

So lange ist es her als damals im ersten symbolischen Akt die Prellbockverschiebung gefeiert wurde, die im weiteren Verlauf den Abriss des Nordflügels zur Folge hatte und die großen Proteste auslöste. Bis hin zum so genannten „Schwarzen Donnerstag“, den unrühmlichen Höhepunkt des Projektes mit dem Wasserwerfereinsatz der Polizei gegen Demonstranten mit vielen Verletzten (der übrigens nachträglich als verfassungswidrig eingestuft wurde).

Am Freitag traf man sich also wieder, um die Gründung des Tiefbahnhofs zu feiern. Obgleich der Bundesrechnungshof kurz vor der Grundsteinlegung vor höheren Kosten gewarnt hatte – im Raum stehen Gesamtkosten von 10 Mrd. Euro – blieben die zahlreichen Festredner optimistisch. „Ich freue mich seit sieben Jahre auf diesen Tag“, sagte Bahnchef Grube. „Es ist eine wahrhaft große Baustelle für einen künftig großen Bahnhof“, und unterstrich: „Der Bau ist unumkehrbar“, und spielte damit auf die Forderung der Projektgegner an, die lange Zeit das Projekt stoppen wollten. Das Wort „Unumkehrbar“ nahm Grube in der Vergangenheit freilich schon oft in den Mund als die Kosten noch um Milliarden niedriger lagen.

Die Bahn geht indes weiterhin davon aus, dass der Kostenrahmen von 6,526 Mrd. Euro gehalten wird. Und auch der Zeitrahmen (Fertigstellung 2021) soll gehalten werden, obwohl man – laut Bahnpapier – zwei Jahre im Verzug ist. Aber die Aussage des Bundesrechnungshofes, die Spekulationen zulässt, saß: Die Stuttgarter Zeitung zitiert am Freitag aus einem Papier der Behörde, in dem sie bei S21 vor höheren Kosten warnt und mangelnde Kontrolle sowie die Intransparenz der Finanzierung bemängelt. Die Kosten des Bundes bei diesem Projekt betrügen nach Erkenntnissen der Prüfer insgesamt bereits 1,65 Mrd. Euro und liegen damit bereits mehr als 400 Mio. Euro höher als von der Bundesregierung angegeben. In der Kritik steht das CDU-geführte Bundesverkehrsministerium, das für die Bundeszuschüsse zuständig ist. Die Kontrollbehörde wirft dem Ministerium sogar explizit Rechtsverstöße gegen das Haushalts- und Zuwendungsrecht vor. Weiter heißt es: „Obwohl die intern von Experten des Bundesrechnungshofes genannte Zahl von zehn Milliarden Euro nicht explizit auftaucht, warte Vizepräsident Ahrendt vor den „weiteren Kostenrisiken für Stuttgart 21“.

Darauf angesprochen reagierte Bahnchef Grube säuerlich: „Was mich beim Rechnungshof wundert ist, dass ich selbst nach mehrmaligem Nachfragen keine Daten bekommen habe. Der Bundesrechnungshof war nie auf der Baustelle oder hat mit uns nie über die Zahlen gesprochen.“

Einen Rüffel mussten sich auch die Grünen in Baden-Württemberg gefallen lassen. Sowohl Ministerpräsident Kretschmann, Verkehrsminister Hermann und Stuttgarts Bürgermeister Fritz Kuhn (alle Grüne) waren wegen anderer Termine nicht bei der Grundsteinlegung dabei. Für Redner, die diesen Umstand bei der Grundsteinlegung ansprachen gab es Applaus. Der für Verkehrsangelegenheiten verantwortliche Grüne Bundestagsabgeordnete Matthias Gastl verteidigte dagegen seine Parteifreunde: „Alle warten auf den nächsten Kostensprung. Und mehr als sechs Jahre nach Baubeginn liegen immer noch nicht alle Genehmigungen vor. Daher ist es richtig, dass grüne Spitzenpolitiker von diesem inszenierten Festakt fernbleiben“, zitiert ihn die Stuttgarter Zeitung.

Für die Projektgegner war der Tag wieder einmal eine Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzustellen. „Grabsteinlegung statt Grundsteinlegung“, war auf Plakaten zu lesen und „Umstieg21“. Statt der jahrelangen Forderung nach einem Ausstieg soll nun über einen Umstieg nachgedacht werden, der Kopfbahnhof soll aber weiterhin das Kernstück der Lösung sein. „Wir müssen nach vorne schauen, wir müssen eine praktikabel bauliche und verkehrliche Lösung anbieten“, sagte ein Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S21.  

Fast genau 19 Jahre nachdem das Architekturbüro Ingenhoven, Overdiek, Kahlen und Partner (heute ingenhoven architects, Düsseldorf) den „Realisierungswettbewerb Hauptbahnhof Stuttgart“ gewonnen hat (4. November 1997) wird nun mit dem eigentlichen Bau begonnen. „Ich habe immer an das Projekt geglaubt“, sagte Christoph Ingenhoven. Vom ersten Entwurf bis zum heutigen Tag habe sich laut Architekt Ingenhoven auch nicht sonderlich viel verändert. „Im Grunde setzten wir hier den Entwurf von vor 19 Jahren um“, sagte Ingenhoven. Beim ersten Entwurf war auch noch der verstorbene Architekt Frei Otto "als Berater" (Ingenhoven) mit im Boot, den Ingenhoven zum einen als treibende Kraft aber auch selbst als Kritiker wahrgenommen hatte. Dieser war unter anderem mit dem Standort des Tiefbahnhofes nicht einverstanden und hätte ihn er an anderer Stelle im Stadtgebiet gesehen.

Der Durchgangsbahnhof ist im Vergleich zum heutigen Bahnhof um fast 90 Grad gedreht und die Gleise liegen rund 12 Meter unter dem heutigen Schienenniveau. Der historische Bonatzbau bleibt mit seinem Hauptgebäude, dem Turm und der großen Schalterhalle erhalten. Die großen Lichtaugen in der Decke des zukünftigen Durchgangsbahnhofs sollen in der unterirdischen Bahnhofshalle eine helle, angenehme Atmosphäre schaffen. Über statisch wirksame "Kelche" aus hochwertigem Weißbeton soll Tageslicht in den Tiefbahnhof gelenkt werden. Über den Gleisen entsteht ein Platz, der durch die Lichtaugen gegliedert ist. Hohe Auflagen gibt es beim Brandschutz, der die Verantwortlichen des Projektes auf Trab hält. So wird der Bahnhof selbst als Tunnelbau kategorisiert, damit sind die Brandschutzauflagen entsprechend höher. Ingenieur Werner Sobek, der als drittes Ingenieurbüro (nach Hapold und LAP) das Projekt begleitet spricht in diesem Zug von realitätsfernen Auflagen, die nur damit begründet werden könnten, dass sich die Projektverantwortlichen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben halten müssen, um nicht in die Haftung zu geraten.

Für die Neuordnung des Stuttgarter Bahnhofs werden neben dem Hauptbahnhof zwei weitere Personenbahnhöfe und ein Abstellbahnhof gebaut. Bislang sind laut Bahn ein Drittel der insgesamt 59 Kilometer Tunnelröhren fertiggestellt. An den Tunnelköpfen am Süd- und Nordportal wird der Durchbruch um die Jahreswende 2016/2017 erwartet.

Gute Nachrichten gibt es laut Bahn von der Neubaustrecke zu verkünden, dort soll sich der Kosten- und Zeitplan in den geplanten Prognosen halten, die Kosten von 3,26 Milliarden Euro könnten sogar darunter liegen.

Um die Zukunft des Projektes und auch um seine berufliche Zukunft macht sich Bahnchef Grube keine Sorgen. Selbstbewusst sprach er zu den anwesenden Gästen: „Ich bin stolz auf das Projekt und bleibe stolz und werde 2021 die erste Fahrt mit Ihnen von Stuttgart nach Ulm machen.“

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