Der Ort hat etwas mit Heimat zu tun
Ein Gespräch mit Arno Lederer in Stuttgart
www.archlro.de

Ist Weiterbauen Ausdruck von Kontinuität? Was genau versteht man aber darunter, wenn Kontinuität auch den totalen Neuanfang mit Blick zurück beinhaltet? Ein Gespräch mit Arno Lederer in dessen Büro in Stuttgart über das Zeitlose in der Architektur und warum das Kaiser-Karree in Karlsruhe von LRO gerade bei manchen in der Kritik steht.

Herr Lederer, wie fühlen Sie sich, wenn Sie jemand auf das Kaiser-Karree in Karlsruhe anspricht?

Was das Ergebnis betrifft, fühle ich mich ganz gut. Ich muss sagen, wir fühlen uns ganz gut, ich mache die Projekte ja nicht alleine, wir sind drei Partner. Erst neulich auf einer Tagung in Düsseldorf [„Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt“, Be. K.] wurde ein Projektbild an die Wand geworfen, ich wusste nichts davon. Da wurde Frau de Vries [Natalie de Vries von MVRDV, Be. K.] gefragt, wie sie das fände. Sie war sich unschlüssig in ihrem Urteil, sie wisse nicht genau, wann dieses Haus gebaut worden sei … Das habe ich als Lob empfunden, weil es eines unserer Ziele beim Weiterbauen ist, dass das Haus nicht sagen muss, in welchem Jahr genau es gebaut wurde. Und man muss auch nicht sofort erkennen, welcher Architekt es gebaut hat. Man ist in der Weinbrennerstadt Karlsruhe und das Haus hat etwas mit Karlsruhe zu tun, fertig.


In Museen gibt es das selten: die kontextlose Konfrontation mit dem Werk, das ohne Verfassernamen oder Datum vor einem steht oder hängt. Geht es Ihnen um vergleichbar Absolutes?

Das ist eine interessante Frage, an die ich noch nicht gedacht habe. Von der Museumsinsel Hombroich kenne ich das. Da hängen die Kunstwerke ohne Titel und Namen … das ist befreiend!


Spielt da noch Handschrift eine Rolle?

Nun ja, wenn die Handschrift die Qualität ist, dann auf jeden Fall, weil Qualität das ist, was zum Schluss zählt.


Können Sie ganz kurz das Entwurfskonzept des Kaiser-Karrees skizzieren?

Das ist relativ einfach. Es gibt so eine Art Masterplan von Weinbrenner, wir würden Gestaltungsrahmenplan sagen. Und dieser etwas ältere Rahmenplan ist ein tauglicher, auch ein nachhaltiger Plan für die Innenstadt, weil er ganz selbstverständlich bestimmte Dinge vorgibt. Man muss jetzt nicht wie Weinbrenner bauen, sondern man kann sich als Architekt wie in jedem anderen Gestaltungsrahmenplan dort einbringen. Aber der Plan hat etwas Spezifisches und in diesem Geist haben wir versucht zu bauen.


Was beschreibt diesen Geist? Konkret: Was haben Sie auf der Ecke gemacht?

Wenn Sie sich die Bauten in der Nachbarschaft anschauen, ist das schnell zu beantworten. Im Baugesetz gibt es den Paragraphen 34

[§ 34 BauGB, „Zulässigkeit von Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile“; Be. K.], der sagt, der Neubau soll sich in die Umgebung einfügen. Also studiert man den Bestand und orientiert sich daran. Der Marktplatz besitzt ja noch einige der Häuser, die sich an den genannten Planungsvorstellungen orientieren. Zwar handelt es sich dabei um Wiederaufbauten, doch diese zeigen eine wichtige historische Struktur.


Meinen Sie, dass das reicht? Wird hier nicht in gefährlicher Weise getäuscht?

Das finde ich überhaupt nicht gefährlich. Es interessiert die Leute gar nicht, aus welcher Zeit das Gebaute ist. Die Leute empfinden einfach, dass das ein harmonischer Platz ist, das ist das Entscheidende. Ich glaube, dass Architektur auch eine gefühlsmäßige Akzeptanz hervorbringen muss. Mozart sagte, seine Musik habe sowohl dem Volk als auch den Spezialisten zu gefallen.


Ist die Umsetzung von Raumproportion und die Erzeugung von Wohlgefühl mit zeitgenössischer Architektur nicht zu leisten?

Doch sicher. Wir bauen ja an anderer Stelle anders. In anderer Umgebung, auf der freien Wiese sehen unsere Projekte ja auch ganz anders aus. Wenn wir in Salem bauen, sieht das anders aus als in Karlsruhe. Die entscheidende Frage ist doch immer der Ort. Er lokalisiert uns. Man könnte höch­stens sagen, dass das eine Gegenbewegung ist gegen die globalisierte Architektursprache. Mit Blick auf Europa jedenfalls würde ich sagen, dass der Ort etwas mit Heimat zu tun hat … im positiven Sinne. Die Bauten der 1950er Jahre, wie sie auf dem Bild noch sichtbar sind [er zeigt auf ein Foto vom Kaiser-Karree], könnten überall stehen. Die haben mit Karlsruhe wenig gemein.


Liegt die größte ökonomische und ökologische Vernunft nicht im Weiterbauen des Bestands? Hier wurde aber für einen Neubau ein altes, unter Denkmalschutz stehendes Gebäude abgerissen …

Zunächst zum Schelling-Bau, den ich übrigens sehr ordentlich fand. Der war aber innen überhaupt nicht mehr intakt, Originalsubstanz war nicht mehr vorhanden. Alle Architekten im Wettbewerb haben den Bau ausgeräumt. Dann hätten wir jedoch eine Fassadenarchitektur gehabt, bei der Geschosshöhen und Fenster maßlich nicht übereinstimmten.


Mehr Fläche bei niedrigeren Räumen?

Also die Wettbewerbsaufgabe bestand darin, höhere Räume zu planen. Dann hätten wir folglich sagen müssen, wir nehmen am Wettbewerb nicht teil. Der Investor jedenfalls hätte hier nicht mitgemacht.Aber wenn man unser Werk im Gesamten kennt, stellt man leicht fest, dass wir sehr wohl viele Nachkriegsarchitekturen genau mit dem Impetus Ökonomie/Ökologie/Weiterbauen instand gehalten haben. So beim Staatstheater Darmstadt, der Helvetia Direktion in Frankfurt und so weiter …


Beziehen Sie sich in Ihrer Haltung bezüglich Weiterbauens auf eine Theorie, einen Architekten?

Was uns, wir sind ja drei Partner, ganz sicher beschäftigt ist das Thema der Kontinuität. Und wenn man sich mit Architektur beschäftigt, merkt man schnell, dass die Kontinuität durch Jahrhunderte hindurch ein Thema war; bis auf das 20. Jahrhundert. Davor haben die Menschen ihre Häuser einfach weitergebaut, gleich, ob diese aus der Gotik, aus der Renaissance oder dem Barock waren. Das Thema des Weiterbauens war immer präsent – ohne Glasfuge oder andere Kniffe des Unterscheidens oder bewussten Absetzens. Ein schönes Beispiel ist das Historische Museum in Frankfurt [wird von LRO umbebaut, Fertigstellung ca. 2015; Be. K.]. Der alte Teil davon besteht aus drei oder vier Bauabschnitten verschiedener Epochen. Hier haben die Alten einfach nahtlos weitergebaut! Die Art des Weiterbauens, sich also abzusetzen, mit dem Anspruch, Autorenarchitektur machen zu wollen, hat uns in der europäischen Stadt kein Stück weitergebracht. Vermutlich funktioniert der Link zwischen den Raumvorstellungen der Moderne und denen der alten Städte nicht. Jedenfalls nicht so, wie man sich das wünschte. Man hat sich das aber auch gar nicht gewünscht. Nach dem Krieg jedenfalls stand der Wiederaufbau für einen radikalen Neuanfang, für viele der willkommene Anlass, es endlich anders zu machen.


Aber Vorbilder für Ihre Haltung?

Es gibt hier eine ganze Reihe von Architekten, die sich des Themas angenommen haben, etwa Gunnar Asplund. Wir sind allerdings in der „religiösen“ Haltung der Moderne aufgewachsen. Nur ein Material, ein hohes Maß an Reduktion und die Faszination für das Neue. Es gab auch in Deutschland immer Architekten, die sich mit der Frage der Kontinuität auseinander gesetzt haben: Heinrich Tessenow, Hans Döllgast oder natürlich Theodor Fischer. Hier ist die ehemalige Garnisionskirche in Ulm zu nennen, ein hervorragendes Bauwerk, in dem Stahlbeton und traditionelle Baumaterialien wunderbar zusammen kommen. Fischer war übrigens der erste, den Le Corbusier auf seiner Deutschlandreise besucht hatte.


Jetzt steht der benachbarte Bau aus den 1950er Jahren isoliert. Ist der demnächst fällig?

Der steht zum Verkauf, schon länger. Also, wenn Sie jemanden wissen, der in Karlsruhe investieren will … ich würde es wirklich gut finden, wenn diese Platzsituation komplettiert würde.


Bekämen Sie den Auftrag: würde es wieder à la Weinbrenner?

Nicht à la Weinbrenner, sondern im Geiste des städtebaulichen Gesamtraumes. Übrigens: Die beiden Bestandsbauten waren zuvor nicht spiegelsymmetrisch. Das Geheimnis dieser Stadt ist, dass die Häuser vom Grundtypus her gleich sind, dass sie sich aber im Dekorum unterscheiden. Das Unterschiedsmerkmal ist also auf den zweiten Blick auszumachen … wir hatten das ja vorher schon.

Es gibt eine schöne Straße, die Stephanienstraße, die in einigen Zügen noch relativ intakt ist, in der man die Idee von Weinbrenner erkennen kann: Zunächst einmal sind alle Häuser gleich und dann differieren sie ganz leicht und das macht die Qualität und die Identität dieser Stadt aus.


Das Gespräch führte DBZ-Redakteur Benedikt Kraft am 25. Mai in Stuttgart, im Nachgang zum Projektbericht über das Kaiser-Karrée in DBZ 6/2012.

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