Architektur wirkt: Nachhaltigkeit 2.0
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Mehr als 250 Architekten besuchten die von Prof. Manfred Hegger/TU Darmstadt und Prof. Jan R. Krause/Hochschule Bochum ­ini­tiierte internationale Architekturkonferenz über die Ästhetik der Nachhaltigkeit auf der DEUBAU 2012. Im Rahmen des EU-Projekts 10Action diskutierten Architekten, Ingenieure, Hersteller, Politiker und Nutzer neue Dimensionen des Nachhaltigkeitsbegriffs.

Ob echtes Anliegen oder clevere Marketingstrategie – wie nachhaltig ein Bauwerk ist, lässt sich an Hand von Zahlen und Normen mittlerweile gut ermitteln. Doch bei den Debatten um diesen inflationär gebrauchten Begriff trat die Baukultur oft unbemerkt in den Hintergrund. Unter dem Leitsatz „Die Ästhetik der Nachhaltigkeit in Architektur und Kommunikation“ rückten in Essen Experten aus Deutschland, Österreich, Dänemark und den Niederlanden andere Werte einer nachhaltigen Bauweise in den Fokus und präsentierten internationale Architekturprojekte, bei denen ökonomische und ökologische Faktoren im Einklang mit sozialen ­Aspekten und kulturellen Werten stehen.
Die vom Bochumer Masterstudiengang AMM Architektur Media Management und dem Darmstädter Lehrstuhl für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen organisierte Debatte war auch von kritischen Hinweisen geprägt. „Auf einer Messe über Nachhaltigkeit zu reden, ist wie in Hells Kitchen über gesunde Ernährung zu sprechen“ stellte die Berliner Architektin Astrid Bornheim den Konferenzort in Frage. Sie forderte zum Perspektivwechsel auf und demonstrierte mit ihrem Projekt für die Eternit AG, dass Messen sich durchaus nachhaltig inszenieren und intelligent nachnutzen lassen: Der Messestand wurde für den Neubau der Eternit Akademie in Heidelberg wiederverwendet und so von einer temporären Nutzung in eine dauerhafte Architektur überführt. Ein solches Weiterdenken von Architekturen und Prozessen setzt eine besondere Unternehmenskultur voraus. Das bestätigte auch Frank Heekerens: „Wir wollen ein Gebäude, das so ist, wie wir sein möchten“, beschrieb der Geschäftsführer von ThyssenKrupp Real Estate das neue Headquarter des Essener Weltkonzerns. Die Architektur von JSWD Architekten und Chaix&Morel wird hier zum gebauten Leitbild des Unternehmens. Jürgen Steffens brachte es auf die Formel: „Architektur ist nachhaltig, wenn sie Werte vermittelt“. 100 Teilnehmer der Konferenz konnten sich am Abend bei einer Führung durch das Quartier davon überzeugen, wie nachhaltig die Architektur tatsächlich auf die Mitarbeiter wirkt.

Einen eindrucksvollen Kontrast zu der DGNB- und LEED-zertifizierten Stahl-Glas-Architektur lieferte Harald Professner mit dem Vorarlberger Life Cycle Tower LCT One, dem achtstöckigen Holz-Hybrid-Hochhaus vom Architekturbüro Hermann Kaufmann. Besonderen Wert legte der Holzbauingenieur und Vertriebsleiter von Cree auf die Bedeutung des ökologischen Fußabdrucks und belegte in seinem Vortrag eindrucksvoll, was im modernen Holzbau möglich ist, wenn man den Mut hat, Grenzen zu überschreiten und Architektur als Forschungsauftrag zu verstehen.

Wie wichtig die Messbarkeit ist, zeigte Architekt Henk Döll mit seinem experimentellen Konzept für den Club Watt in Rotterdam, der ersten nachhaltigen Disco der Welt. Jeder kann hier auf energieerzeugenden Bodenplatten mit „Tanzenergie“ elektrischen Strom erzeugen. Indem überall auf raffiniert integrierte Weise Wasserverbrauch und Energiegewinnung angezeigt werden, findet ein messbarer Bewusstseinswandel statt, der sich nachhaltig auf das Verbraucherverhalten auswirkt. So wurde der Energieverbrauch mit dem neuen Konzept um 50 % gesenkt.

Wie dies auch auf den kleinsten denkbaren Maßstab, das Einfamilienhaus, übertragbar ist, zeigte Lone Feifer mit der Serie der Velux Model Homes. Gerade im Wohnungsbau stellt sich sehr nachvollziehbar die Frage, die die dänische Architektin an das Publikum richtete: „Warum stehe ich morgens auf? Nicht weil ich Energie sparen will, sondern weil ich Lebensqualität haben möchte“.

Lebensqualität und Wertevermittlung waren auch die zentralen Botschaften aus dem Archi­tekturbüro von Henning Larsen. Signe Kongebro ist Sustainability Managerin in dem dänischen Architekturbüro, das höchst individuelle Nachhaltigkeitskonzepte für die ganze Welt entwickelt. Sie appellierte an die Architekten, sich mit professionellem Nachhaltigkeitsmanagement zukunftsfit zu machen und die Führungsrolle in diesem neuen Feld interdisziplinärer Planung zu übernehmen.

Dass Architekten allein die Probleme der Welt nicht lösen können, führte der System­analytiker Dr. Harry Lehmann vom Umweltbundesamt anschaulich vor Augen. Angesichts der durch erdrückende Daten und Fakten belegten Szenarien von Klimaver­än­­derung, Ressourcenverbrauch, Müllpro­duk­tion und Umweltverschmutzung for­derte er die „große Transformation“ politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse. Dass Architekten mit ihrem Einfluss, ihren manchmal unkonventionellen Ideen und ihrer Qualifikation, komplexe, interdisziplinäre Prozesse zu steuern, hier eine Vordenker- und Vorreiterrolle einnehmen können, ist die gute Botschaft einer Konferenz, die eine neue Phase der Nachhaltigkeitsde­finition einleitet.

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